Busse am Stadtbahnhof Freudenstadt: ÖPNV auf Straße und Schiene sollen besser vernetzt werden. Foto: Rath

Berater empfehlen radikalen Systemwechsel. Freizeit- und Tourismusverkehr ab Oktober "Testballon".

Kreis Freudenstadt - Der ÖPNV kann auch im ländlichen Raum attraktiv, günstig und vor allem besser ausgelastet sein. Den Beweis will der Landkreis Freudenstadt antreten. Ab Oktober soll zunächst der Freizeitverkehr unter neuem Konzept rollen – als "Testballon".

Den Weg dafür frei machte am Montag der Technische Ausschuss des Kreistags, bei einer Enthaltung einstimmig. Das Ziel ist ambitioniert: mehr Verbindungen, öfter Stundentakt, eine Neuausrichtung hin zur Schiene, bessere abgestimmte Fahrpläne von Bussen und Bahnen. In naher Zukunft sollen ÖPNV-App und sogenannte "On-demand"-Elemente dazukommen, um Lücken zu schließen. Dazu zählen Sammeltaxis. Gleichzeitig soll der Zuschuss des Landkreises von derzeit rund 300 000 Euro pro Jahr eher sinken als steigen.

Die Nahverkehrsberatung Südwest hat sich im Auftrag das bisherige ÖPNV-Angebot im Landkreis angeschaut. Was deren Sprecher Stephan Kroll und Hartmut Jaißle den Kreisräten am Montag vorstellten, ist mehr als eine Änderung des bisherigen Konzepts. Es sei "ein Systemwechsel". Das komplexe System von Fahrplänen, Tarifen und Anbietern, auch über den Kreis hinaus, zu erfassen und zu modifizieren, bezeichnete der Erste Landesbeamte Reinhard Geiser als "eine Doktorarbeit". Jaißle sagte, die neue Lösung sei "kompliziert, und doch einfach".

Neue Anreize

Besonderheit ist das neue "wirtschaftliche Anreizsystem" für die beteiligten Verkehrsbetriebe. Denn nach dem bisherigen Zuschusssystem kann es den Firmen eigentlich Wurst sein, ob der ÖPNV genutzt wird. Der Zuschuss kommt, ob die Busse voll fahren oder leer. Fehlen Einnahmen, weil weniger Fahrscheine verkauft werden, legt der Kreis eben mehr drauf. Er habe als ÖPNV-Nutzer oft mit Busfahrern gesprochen und schon die Antwort erhalten: "Ein leerer Bus ist mir am liebsten, dann muss ich weniger putzen", so Jaißle. Im Kreis Freudenstadt betrage die "mittlere Auslastung" derzeit acht Fahrgäste. Ließe sich der Mittelwert auf 18 steigern, würde sich der ÖPNV finanziell selbst tragen.

Künftig sollen die öffentlichen Zuschüsse im Kreis so fließen, dass die Partner mehr Interesse daran haben, mit vollen Bussen unterwegs zu sein. Sie können mehr verdienen. Die Verkehrsbetriebe trügen das neue Konzept übrigens mit. Im Gegenzug erspart der Kreis auf Anraten der Berater sich und den Betrieben eine EU-weite Ausschreibung des ÖPNV, was die Sache noch komplizierter bis unmöglich machen würde. Im Gegenzug brauchen die Unternehmen vor Ort keine Konkurrenz von außerhalb zu fürchten. Damit hätten sie auch Planungs- und Investitionssicherheit. Der Weg dahin führt über das Instrument einer Satzung.

Den Ausbau des Freizeitverkehrs und die bessere Vernetzung ermöglichen einerseits die zusätzlichen Buslinien für den Nationalpark Schwarzwald. Außerdem wollen die Nahverkehrsberater das bestehende Netz neu ausrichten (Info). Linien mit wenig Fahrgästen sollen zu Ast-Linien hin zu stärkeren Linien umgekrempelt werden. Starke Linien wollen die Berater stärken. Busse sollen Fahrgäste zur Bahn bringen, anstatt neben den Bahnlinien herzufahren. Außerdem sollen die Fahrpläne von Bussen mit denen der Züge verknüpft werden. Wo kaum was geht, wie im Dießener Täle, könnten Sammeltaxis fahren. Pfalzgrafenweiler, die größte Gemeinde im Kreis ohne eigenen Bahnhof, würde hingegen besser angebunden. "Wir sind noch in Gesprächen mit den Gemeinden", so Geiser. Ohnehin sei die Nahverkehrsberatung noch dabei, ein Konzept für alle Städte und Gemeinden zu entwickeln. "Wir sind noch nicht so weit", sagte Jaißle.

Zug ist oft schon weg

Die Kreisräte reagierten teils skeptisch, teils mit klaren Erwartungen auf den Systemwechsel. Dieter Bischoff (FWV) bezeichnete die Ideen als "spannend", wenngleich er sich frage, ob die Züge genug Kapazitäten hätten. Aber er wolle das Konzept erst mal "positiv aufnehmen". Gerhard Gaiser (SPD) hofft auf eine bessere Abstimmun. Bislang sei es oft so: "Der Zug ist schon abgefahren, wenn der Bus gerade ankommt." Wartezeiten machten den ÖPNV unattraktiv. Jaißle sagte, künftig sei vielfach "ausreichend Puffer drin" zum direkten Umstieg. Während Fritz Hornberger (CDU) "noch nicht ernsthaft" an den Erfolg glauben mag, hofft Ludwig Wäckers (Grüne) drauf, dass es in einem Tourismus-Landkreis endlich möglich ist, Fahrräder in Bussen mitzunehmen: "Wenn das in der Südeifel geht, muss das bei uns auch möglich sein."