Foto: Schwarzwälder-Bote

Auch im Landkreis geht Angst vor Übergriffen um. Tierabwehrspray verkauft sich gut.  Mit Kommentar

Kreis Calw - Silvester rückt näher und damit auch die Erinnerungen an die schrecklichen Vorfälle der vergangenen Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Städten. Obwohl Calw vor solchen Geschehnissen verschont blieb, scheint die Angst umzugehen.

Anstatt friedlich das neue Jahr zu feiern, wurde die Silvesterparty 2015 insbesondere in Köln, aber auch in etlichen anderen deutschen Städten für viele junge Frauen zum Albtraum: Hunderte, zumeist nordafrikanische Männer, umzingelten die Frauen, belästigten sie sexuell, raubten sie aus. Sogar einige Fälle von Vergewaltigungen wurden angezeigt. Seitdem ist die Anzahl der kleinen Waffenscheine in Deutschland sprunghaft angestiegen. Mit dem kleinen Waffenschein kann man beispielsweise Schreckschusspistolen und Pfefferspray legal erwerben.

Von durchschnittlich 25 auf 217 Ausstellungen

Obwohl die Vorfälle in der Silvesternacht weit weg vom Landkreis Calw stattgefunden haben, macht der enorme Anstieg der kleinen Waffenscheine auch vor der Hesse-Stadt und ihrer Umgebung keinen Halt. Zwischen 2004 und 2015 wurden im Landkreis Calw – die Kreisstadt selbst und Nagold ausgenommen – jährlich im Durchschnitt 25 kleine Waffenscheine ausgestellt. 2015 waren es 33. In diesem Jahr hat sich die durchschnittliche Anzahl der kleinen Waffenscheine beinahe verzehnfacht: 217 kleine Waffenscheine wurden bislang ausgestellt. Und das Jahr ist noch nicht zu Ende.

Auch in Nagold hat sich die Anzahl der Scheine um ein Vielfaches erhöht: Von 17 kleinen Waffenscheinen im Jahr 2015 stieg die Zahl auf 80 in diesem Jahr. In Calw sieht es nicht besser aus: Von vormals gerade einmal sechs kleinen Waffenscheinen 2015 stieg die Zahl innerhalb eines Jahres auf 44. Inzwischen ist auch der Handel auf diese Entwicklung aufgesprungen.

"Tierabwehrspray" frei verkäuflich

In Filialen deutschlandweit kann man seit Ende Juni bei dm-Drogeriemarkt sogenanntes "Tierabwehrspray" erwerben, welches eine verblüffend ähnliche Zusammensetzung wie Pfefferspray hat.

Da aber auf der Dose steht, dass es sich um ein Abwehrmittel gegen Tiere handelt und die Verwendung gegen Menschen in Deutschland nicht zugelassen ist, braucht man für den Besitz keinen Waffenschein. Der Hinweis "Es wirkt ebenso überzeugend gegen Menschen" deutet aber klar darauf hin, wofür das Pfefferspray eigentlich gedacht ist. "Das Spray wird ziemlich gut verkauft", meint eine Verkäuferin der dm-Filiale in der Calwer Innenstadt. Sie sieht einen deutlichen Zusammenhang mit den Vorfällen an Silvester.

"Es ist ja nicht so, dass plötzlich viel mehr wilde Tiere herumrennen. Die Leute kaufen es schon, um sich gegen andere Menschen zu verteidigen, da brauchen wir uns nichts vorzumachen." Die Mitarbeiterin des Karlsruher Drogeriekonzerns könne sich auch vorstellen, dass die Verkäufe vor Silvester nochmals ansteigen.

"Das Problem ist, dass viele Kunden gar nicht wissen, dass man das Spray nicht gegen Menschen einsetzen darf", gibt sie zu bedenken. Da vermag auch der kleine Hinweis auf der Spraydose nichts bewirken.

Kommentar: Angst geht um

Pfefferspray und Schreckschusswaffen scheinen inzwischen zum Inventar jeder Handtasche zu gehören. So ist auch in ländlichen Gebieten wie dem Landkreis Calw die Zahl der kleinen Waffenscheine explodiert. Die Polizei warnt, die Bevölkerung stellt weiter munter Anträge oder geht im Drogeriemarkt Sicherheit in Form von "Tierabwehrspray" kaufen. Vermeintliche Sicherheit. Verstehen kann man durchaus, dass Menschen unter anderem durch die Vorfälle an Silvester in Köln verunsichert sind. Aber macht Pfefferspray das Leben wirklich sicherer? Birgt diese Aufrüstung nicht Risiken, die nicht unterschätzt werden sollten? Hier ist die Politik gefragt: Sie muss an der Ursache ansetzen und etwas gegen die Angst tun, die zum Kauf von Waffen führt. Zum Beispiel mit erhöhter Polizeipräsenz. Bevor es hierzulande zu einer privaten Aufrüstung nach dem Vorbild der USA kommt.