Im Kreis Calw ruht am Totensonntag auf einigen Sportplätzen der Ball - und auf anderen nicht. (Symbolfoto) Foto: Xerography/Shutterstock

Fußball: Tag entzweit den Landkreis Calw. Kuriosum ist in Baden-Württemberg einmalig.

Gleicher Landkreis, gleiche Landeskirche – und trotzdem ruht am Totensonntag auf einigen Sportplätzen im Kreis Calw der Ball und auf manchen nicht. Ein Kuriosum, das in der Form in Baden-Württemberg einmalig ist.

Es wird am kommenden Sonntag nur der Wind sein, der die Grashalme auf dem Sportplatz in Neuweiler in Bewegung bringt. Ihr Heimspiel in der Bezirksliga Böblingen/Calw gegen den 1. FC Altburg trägt die SG Neuweiler/Oberkollwangen bereits am Samstag aus, denn am Totensonntag wird in Württemberg kein Fußball gespielt. Diese Tradition gibt es mit Rücksicht auf die evangelische Kirche, für die der letzte Sonntag vor dem 1. Advent ein hoher Feiertag ist, schon seit Jahrzehnten. Doch nur wenige Kilometer weiter wird der VfL Höfen sein Derby gegen die Spvgg Conweiler/Schwann II wie gewohnt sonntags und damit auch am Totensonntag austragen – obwohl auch Höfen sowohl zum Kreis Calw als auch zur evangelischen Landeskirche Württemberg gehört.

Keine Spiele vor 13 Uhr

Beispiele wie dieses gibt es am kommenden Wochenende zu genüge. Auch die beiden Mannschaften des SV Bad Liebenzell müssen sich bereits am Samstag an ihrem Sportplatz am Polarion treffen, um zu ihren Auswärtsspielen in Möttlingen zu fahren, während nur fünf Kilometer Luftlinie entfernt auf dem Sportplatz in Schwarzenberg mit der SG Unterreichenbach/Schwarzenberg II und den Sportfreunden Dobel zwei Teams aus dem Kreis Calw am Totensonntag aufeinandertreffen dürfen. Der Unterschied: Der SV Bad Liebenzell ist Mitglied des Württembergischen Fußballverbands, während die Vereine aus dem Nordwesten des Landkreises Calw zum Badischen Fußballverband gehören – und der genehmigt am Totensonntag Spiele, wenn sie nicht vor 13 Uhr angepfiffen werden.

WFV verweist auf Tradition

"Das Fußball-Spielverbot am Totensonntag ist auf eine Vereinbarung zwischen der evangelischen Landeskirche und dem Württembergischen Fußballverband zurückzuführen, die bereits seit Jahrzehnten Bestand hat", erklärt WFV-Pressesprecher Heiner Baumeister auf Nachfrage des Schwarzwälder Boten und merkt ab: "Unser Eindruck ist, dass diese Vereinbarung allgemein auf Akzeptanz stößt. Eine Diskussion, diese Regelung zu lockern oder gar aufzulösen, gibt es derzeit nicht."

Richard Armbruster, Vorsitzender des Fußballbezirks Böblingen/Calw, verweist darauf, dass man vor einigen Jahren "kontrovers diskutiert" habe, das Spielverbot am Totensonntag aufzuheben. "Das wurde abgelehnt. Kirchliche Gründe waren das K.o.-Kriterium", erinnert sich Armbruster. Phasenweise habe man im Bezirk am Samstag vor dem Totensonntag nur eine Pokalrunde ausgetragen, inzwischen lässt man einen kompletten Liga-Spieltag laufen. In personelle Bedrängnis – etwa bei den Schiedsrichtern –bringe diese Konzentration auf den Samstag den Bezirk nicht, und auch von den Vereinen sei Armbruster noch keine Kritik zu Ohren gekommen. Dennoch räumt der Bezirksvorsitzende ein: "Meinetwegen könnte man am Totensonntag spielen. Dann wäre es einheitlich."

Keine Kritik beim BFV

Umgekehrt hält der Badische Fußballverband an der Praxis fest, am Totensonntag spielen zu lassen. "Es wurde bisher noch kein Wunsch der Vereine oder einzelner Kirchen an uns herangetragen, den ganzen Sonntag – analog dem WFV – ein Sportverbot auszusprechen", sagt Felix Wiedemann, der beim BFV für den Spielbetrieb zuständig ist. Er unterstreicht: "Es gab bei Spielen ab 13 Uhr noch keine negativen Rückmeldungen. Vereine, deren Sportanlage beispielsweise unmittelbar an einem Friedhof oder einer Kirche liegt, können natürlich auf Wunsch erst später beginnen."

Einmalig im Ländle

Dass im Kreis Calw manche Vereine am Totensonntag spielen und dürfen manche nicht, obwohl alle zum gleichen Landkreis und zur gleichen evangelischen Landeskirche gehören, ist in Baden-Württemberg einmalig. Verantwortlich für dieses Kuriosum ist, dass sich die eigentlich württembergischen Vereine aus dem Nordwesten des Landkreises nach und nach dem badischen Spielbetrieb angeschlossen haben. Der Wechsel wurde aber nur auf sportlicher Ebene vollzogen, nicht auf politischer und religiöser.

Keine Kritik an Regelung

Heute gilt: Sowohl im WFV- als auch in BFV-Gebiet sind die Vereine mit der jeweils dortigen Regelung einverstanden. So sagt etwa Lothar Gmeiner, Fußball-Chef der SG Neuweiler/Oberkollwangen: "Das ist ein Thema mit großer Bedeutung für die Gesellschaft. Christliche Werte spielen gerade bei uns im ländlichen Raum eine große Rolle und sind wichtig. Wir spielen gerne am Samstag und nehmen darauf Rücksicht. Der Spielplan steht ja schon lange genug fest, jeder kann sich darauf einstellen."

Ebenfalls nicht weit entfernt von der Grenze zum Badischen Fußballverband sitzt der TSV Simmersfeld. Kann man dort das Spielverbot am Totensonntag nachvollziehen, während ein paar Kilometer entfernt im gleichen Landkreis gespielt werden darf? "Irgendwo ja, irgendwo nein", meint Sport-Vorstand Florian Frey und zuckt mit den Schultern: "Wir sind es nicht anders gewohnt. Klar ist es für uns am Rand zum Badischen Fußballverband komisch, aber das ist halt nun mal so." Immerhin kann Frey dem Spielverbot beim WFV auch etwas Positives abgewinnen: "Da gehört wenigstens der ganze Sonntag der Familie."

Pfarrer im Tor

Und was sagt man im BFV-Gebiet des Landkreises Calw? "Ich bin kein großer Kirchgänger, aber christlich erzogen worden. Man gedenkt den Toten und das sollte man in Ehren halten", findet Fritz Kappler, Vorsitzender des VfL Höfen, der sich auch ein Spielverbot wie beim WFV vorstellen könnte: "Wir würden mitmachen, wenn am Samstag gespielt wird." Allerdings verweist Kappler auch auf den Torwart der AH-Mannschaft des VfL Höfen: Jon-André Søvde, der zugleich evangelischer Pfarrer der Höfener Kirchengemeinde ist. "Selbst der hat sich noch nicht beschwert, dass am Sonntag gespielt wird", schmunzelt Kappler.

Verlegung wegen Derby

Elegant aus der Affäre gezogen hat sich der FV Wildbad, der sein Heimspiel in der Kreisliga Pforzheim gegen Germania Singen freiweillig auf den morgigen Samstag vorgezogen hat. Grund dafür ist jedoch nicht der Totensonntag, sondern das Zweitliga-Derby zwischen dem VfB Stuttgart und dem Karlsruher SC, das – obwohl es im WFV-Gebiet ausgetragen wird – vom Spielverbot ausgenommen ist. "Wir haben einige Hardcore-Fans sowohl vom VfB als auch vom KSC in der Mannschaft, die Karten bekommen haben. Am Samstag spielen wird zusammen gegen Germania Singen und am Sonntag geht’s in Stuttgart getrennt ins Stadion", lacht Patrick Metzler vom Spielausschuss des FV Wildbad. Da es auch bei Germania Singen einige VfB- und KSC-Fans gibt, habe man sich schon frühzeitig auf eine Spielverlegung einigen können. Ein grundsätzliches Spielverbot wie beim WFV stellt Metzler indes infrage: "Ich weiß nicht, ob das mit der modernen Zeit in Einklang steht, wenn es kaum noch Kirch- und Friedhofsgänger gibt."

Landeskirche ist zufrieden

Der vielleicht überraschendste Aspekt der ganzen Debatte: Die evangelische Landeskirche Württemberg ist mit beiden Lösungen zufrieden, wie die Fußballvereine im Kreis Calw mti dem Toten- beziehungsweise Ewigkeitssonntag umgehen – sowohl mit dem generellen Spielverbot im WFV-Teil als auch mit dem Verbot vor 13 Uhr im BFV-Bereich. Oliver Hoesch, Sprecher der Landeskirche, sagt über die Situation im Kreis Calw: "Als Kirche befürworten wir Zeiten der Besinnung und Reflexion. Der Ewigkeitssonntag soll den Hinterbliebenen Trost spenden, das Andenken der Verstorbenen wachhalten und gleichzeitig zu einem bewussteren Umgang mit der Lebenszeit aufrufen. Und wenn ein Fußballverband einen Tag wie den Ewigkeitssonntag besonders behandelt, begrüßen wir das und betrachten es als Würdigung eines stillen Tages und Zeichen der Wertschätzung für eine gute, kulturell verankerte Tradition."