Glücklich schätzen dürfen sich Kinder, die einen Kinderarzt gefunden haben. Foto: Britta Pedersen/dpa

Der Kinderarztmangel im Kreis Calw spitzt sich zu. Etliche Familien mit kleinen Kindern finden für die obligatorischen U-Untersuchungen keinen Kinderarzt mehr.

Kreis Calw - In Nagold ist kürzlich ein Kinderarzt verstorben, in Althengstett eröffnet bald eine Praxis – Aufnahmestopp war jedoch bereits vor einigen Wochen. Betroffene suchen teilweise bis nach Herrenberg und Böblingen nach einem geeigneten Arzt für ihren Nachwuchs, aber bekommen überall nur Absagen. Gibt es im Landkreis einfach keine Kinderärzte mehr?

"Anfang der 90er Jahre gab es nur eine bestimmte Anzahl von Ärzten. Damals wurde die so genannte Bedarfsplanung eingeführt", erklärt Kai Sonntag, der Leiter der Stabstelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Die Bedarfsplanung sei eine Berechnungsmethode, bei der die Anzahl von Ärzten innerhalb eines Landkreises aufgeschlüsselt wird. Daraus ergäbe sich ein Maßstab, auf dessen Basis die Lage beurteilt werden kann. "Der Maßstab im Kreis Calw liegt bei 90,1 Prozent", führt Sonntag weiter aus. Das bedeute, dass der Landkreis Calw zu 90,1 Prozent mit Kinderärzten versorgt ist. Konkreter ausgedrückt: Auf 2917 Kinder kommt jeweils ein behandelnder Pädiater. "Ob das gut oder schlecht ist, das sagt die Zahl nicht aus. Der Maßstab ist weder richtig, noch falsch", erläutert Sonntag. "Was die 2917 Kinder angeht, muss man dazu sagen, nicht jedes der 2917 ist täglich in Bedarf eines Kinderarztes." Das sei außerdem auch saisonal unterschiedlich.

Kein Vergleich zu früher möglich

Er räumt aber auch eine nach seinem Wortlaut "gravierende Schwäche" des Berechnungssystems ein. "Wie viel Patienten kann ein Arzt während seiner Sprechzeiten behandeln? Laut der Systematik gilt eine Sprechstundenzeit von 25 Stunden in der Woche als ein Arzt. Wenn dieser die Sprechstundenzeit von 25 aber übersteigt, also beispielsweise auf 50 Stunden, gilt er immer noch als einer, hat aber gleichzeitig weniger Patienten behandelt, weil er ja für den einzelnen mehr Zeit aufgewendet hat." Ein Vergleich, wie sich der Maßstab seit den 90er Jahren verändert hat und ob eine signifikante Abnahme an Kinderärzten in der Region zu verzeichnen ist, könnte Sonntag nicht ziehen. Dazu hätte sich der Berechnungsmaßstab zu stark verändert.

So auch die kinderärztliche Versorgung. "Heutzutage gibt es viel mehr Angebot und Behandlungsmethoden. Auch die Vorschriften der Regeluntersuchungen wurden erhöht. Die Kinderärzte müssen heute viel mehr leisten. Außerdem hat sich die Kontakthäufigkeit der Eltern zum Arzt gesteigert. Die bringen ihre Kinder viel öfter in den Behandlungsraum. Da ist klar, dass dem einzelnen Arzt zu wenig Zeit für alle bleibt."

Keine schnelle Lösung in Sicht

Trotzdem sieht Sonntag das Problem. Die Systematik der Bedarfsplanung bringt mit sich, dass von Eltern erwartet wird, sich bei der Versorgung ihrer Kinder im gesamten Landkreis zu bewegen. Er weiß, dass das nicht immer möglich ist. Der Leiter der Pressestelle sagt aber auch, dass es für die Unterversorgung in naher Zukunft keine schnelle Lösung geben wird. Auch den einzelnen Kommunen im Landkreis seien die Hände gebunden: "Es soll ja kein Subventionswettlauf unter den Gemeinden geben."

Janina Dinkelaker, die Pressesprecherin des Kreises Calw, bestätigt das. Das Landratsamt könne Eltern auf der Suche nach einem Arzt auch nur an die KVBW weiterleiten. Allerdings sei der Kreis Calw Pilotregion des Projektes der Landesregierung "Modellregionen für Ärztliche Ausbildung", das zur Verbesserung der medizinischen Versorgung auf dem Land beitragen soll. Wie in jedem Jahr seit 2015 vergab der Kreis Calw außerdem erneut drei Stipendien im Wert von 400 Euro pro Person und pro Monat. Diese gehen an Medizinstudenten, die beabsichtigen nach ihrem Abschluss in der Region tätig zu werden.

Bei kleineren "Weh-Wehchen": Telemedizin

Kai Sonntag kann suchenden Eltern nur drei Tipps geben. "Man sollte in Erwägung ziehen den Suchradius zu erhöhen, gegebenenfalls auch außerhalb des Landkreises. Diesen Tipp hören einige nur ungern, ich weiß." Als weiteren Rat könnte man sich immer an den Patientenservice 116 117 wenden, um nach freien Terminen zu fragen. Sein letzter Tipp klingt dabei eventuell etwas unkonventionell. Das Onlineportal docdirect ist eine telemedizinische Sprechstunde. Das Angebot von der KWBW sei kostenfrei für alle Kassenpatienten. In einer Online-Konferenz könnte man sein Kind bequem von zu Hause von einem in ganz Deutschland ansässigen Arzt untersuchen lassen. "Viele Eltern gehen zum Pädiater, nicht weil ihr Kind krank ist, sondern weil sie wissen wollen, ob ihr Kind krank sei. Mit kleineren ›Weh-Wehchen‹ wie ›Was ist, wenn mein Kind Tinte verschluckt hat‹ oder um einen professionellen Blick auf einen Hautausschlag zu bekommen, ist die Telemedizin eine gute Sache."