Die Treppe zum Schwurgerichtssaal am Landgericht in Tübingen. Foto: M. Bernklau

Viereinhalb Jahre Haft wegen mehr als 200-fachen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen.

Tübingen/Oberes Nagoldtal - Knapp drei Jahre Haft in einem rumänischen Gefängnis hatte er hinter sich. Jetzt hat das Landgericht Tübingen einen 61-jährigen Mann aus dem Oberen Nagoldtal zu weiteren viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte den sexuellen Missbrauch von Kindern, Minderjährigen und Schutzbefohlenen in über 200 Fällen gestanden.

Die gewohnheitsmäßigen und wahllosen Übergriffe des Mannes auf Jungen und Mädchen, darunter einen rumänischen Pflegesohn, hatten wohl schon Mitte der Neunzigerjahre begonnen: im Umfeld der Familie, als Gruppenleiter bei den Pfadfindern, als Religionslehrer seiner Glaubensgemeinschaft. Zur Urteilsverkündung war niemand aus seiner Familie erschienen. Er sei von ihr aber nach der Rückkehr aus rumänischer Haft wieder aufgenommen worden, hatte der Vater von sechs eigenen Kindern auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Ulrich Polachowski beteuert.

Keines der zehn Opfer musste vor Gericht eine Aussage machen

Zehn Tage lang war er nach der vorzeitigen Entlassung wegen guter Führung und guter Prognose zwischenzeitlich in Freiheit gewesen. Seine mormonische Glaubensgemeinschaft hatte ihn schon verstoßen, nachdem er wegen des Missbrauchs eines damals zwölfjährigen Schützlings im Rahmen einer Hilfsaktion für rumänische Waisen dort zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Er hatte den Jungen mehrfach für Oralverkehr im Hotelzimmer bezahlt.

An den Vorwürfen gab es nach dem vollen Geständnis des Angeklagten nichts zu deuteln. Dass deshalb keines der zehn aktenkundig gewordenen Opfer vor Gericht aussagen musste, hielt ihm die fünfköpfige Strafkammer zugute. Auch deswegen, und weil er bei seinen Taten keine Gewalt angewendet hatte sowie auf die Bitten der Opfer auf bestimmte sexuelle Praktiken dann stets verzichtet hatte, sah das Gericht davon ab, eine anschließende Sicherungsverwahrung gegen den 61-Jährigen anzuordnen.

Der Richter ließ aber keinen Zweifel daran, dass ein unbefristetes Wegsperren beim ersten einschlägigen Vorfall nach Verbüßung der Strafe unumgänglich sein würde. Das verhängte Strafmaß lag genau in der Mitte zwischen dem Antrag von Verteidiger Thomas Weiskirchner und Staatsanwalt Thomas Trück, der in seinem Plädoyer fünf Jahre Haft gefordert hatte.

"Völlig ungewöhnlich" nannte der Richter den Fall. Nur zu Beginn seiner Urteilsbegründung wurde Ulrich Polachowski kurz sarkastisch: "Die lange Dauer der Taten imponiert schlichtweg", sagte er mit Blick auf das Doppelleben des Mannes, aber auch auf das Wegsehen der Mitwelt.

Dem Gutachten des forensischen Psychiaters Peter Winkler schloss sich der Vorsitzende an. Entgegen der Selbsteinschätzung des Angeklagten, kein Pädophiler zu sein, habe man bei ihm "doch auch ein Krankheitsbild" vor sich.

Staatsanwalt und Verteidiger verzichten auf Rechtsmittel

Bei allem völligen Unverständnis, "was man an elfjährigen Jungen und Mädchen sexuell attraktiv finden kann", werde man diese Neigung "vielleicht nie aus Ihrem Kopf herausbekommen", sagte er zu dem Angeklagten. Er habe über all die Jahre sein Spiel getrieben, das für die "ständig wechselnden Opfer kein Spiel war" und dabei "jedes Mal die Chance gehabt, es nicht zu tun".

Dass die Kinder und Jugendlichen dabei doch auch Spaß empfunden hätten, sei ein "Schönreden", und der Verweis auf die alten Griechen "Bullshit", hielt der Richter den früheren Einlassungen des Angeklagten entgegen. Der "wiederkehrende Vertrauensmissbrauch" habe auch nach all den Jahren noch schlimme Folgen für die Kinder und Jugendlichen.

Dass der 61-Jährige schließlich aber einräumte, es gebe an den Taten "nichts zu entschuldigen", eröffnete ihm nach dem Urteil die Chance auf eine baldige Therapie in der Offenburger Justizvollzugsanstalt.

Per Handzeichen signalisierten Staatsanwalt und Verteidiger den Verzicht auf Rechtsmittel. Nachdem auch der Angeklagte zugestimmt hatte, wurde das Urteil sofort rechtskräftig.