Die Pläne, Calw an das Stuttgarter S-BahnNetz anzuschließen, haben einen herben Rückschlag erlitten. Foto: Fritsch

Millionenprojekt fällt bei der Überprüfung des volkswirtschaftlichen Nutzens durch.

Kreis Calw - Für die Planer und Macher, die das Projekt S-Bahn Calw-Weil der Stadt vorantreiben, heißt es wie im Monopoly-Spiel: "Zurück auf Los."

Neueste Verkehrserhebungen widersprechen der Annahme, dass dieses 70-MillionenProjekt volkswirtschaftlich überhaupt Sinn macht. Der Landrat hat an diesen Zahlen seine Zweifel.Eigentlich schien die "Standardisierte Bewertung", wie die volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung im Behördenjargon genannt wird, eine reine Formalie zu sein. Niemand im Landratsamt bezweifelte, dass dieses wichtigste Infrastrukturprojekt des Landkreises Calw just an dieser Hürde scheitern könnte.

Bei dieser Kalkulation werden Bau- und Betriebskosten dem allgemeinen Nutzen, also weniger gefahrener Kilometer mit dem Auto, geringerem Kohlendioxidausstoß und gesparter Reisezeit der Fahrgäste gegenübergestellt. Im Ergebnis muss dieser Indikator besser als 1,0 – also der Nutzen höher als die Kosten – sein, damit überhaupt Zuschüsse von Bund und Land fließen. Die übernehmen den Löwenanteil von 80 Prozent der Investitionskosten. Zumindest, so lange das so genannte Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) greift – und das ist bis 2019.

Schon zur Zeit von Rieggers Vorgänger hatte man eine solche "Standardisierte Bewertung" vorgenommen – und damals lag der Indikator im Optimalfall bei 2,01. Niemand hatte also damit gerechnet, dass sich dieser Wert so verschlechtern könnte, nämlich unter besagte 1,0, dass die ganze Förderfähigkeit dieses Vorzeigeprojekts in Frage gestellt würde.

Und jetzt das: Verkehrserhebungen aus den Jahren 2008 und 2009 stellen alle bisherigen Annahmen auf den Kopf. Der Indikator sank weit unter 1,0. Genauere Zahlen wollte Landrat Riegger gestern auf einer eigens anberaumten Pressekonferenz lieber gar nicht nennen. Aber wenn – so lautet das ernüchternde Resultat dieser Bewertung – die Baukosten in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen, braucht der Kreistag einen Förderantrag erst gar nicht zu stellen. Dann wären alle Planungen Makulatur.

Aber Helmut Riegger ist von Natur aus Optimist. Und er vertraut nicht den Zahlen, die dieser "Standardisierten Bewertung" zugrunde gelegt wurden. Kann es denn tatsächlich sein, dass der Individualverkehr, der sich aus dem Calwer Raum in die Metropolregion Böblingen/Stuttgart ergießt, in den vergangenen Jahren um 30 Prozent abgenommen hat? So ergaben zumindest automatisierte Verkehrszählungen, dass im Jahr 2002 zwischen Heumaden und Althengstett täglich 26 000 Menschen im Auto unterwegs waren, 2009 – also bei den jüngsten Zählungen – sollen es nur noch 20 000 gewesen sein.

"Zahlen sind schlichtweg nicht plausibel"

Und noch gravierender: Im Busverkehr sollen es in diesem Zeitraum sogar 80 Prozent weniger Fahrgäste gewesen sein, die damit als potenzielle S-Bahnnutzer ausfallen würden. "Die Zahlen sind schlichtweg nicht plausibel", meint deswegen Kreischef Riegger – und lässt neu zählen. Seit gestern an relevanten Straßen gen Böblingen, ab nächster Woche auch in den Bussen.

Ungelöst ist indes ein weiteres Problem: Die Fahrgäste der neuen "Hermann Hesse Bahn" müssen in Renningen umsteigen, haben aber wegen des engen Taktes, den die Anschluss-S-Bahn vorgibt, kaum Zeit dazu. Dadurch gehen der Bahn – rechnerisch – alle Fahrgäste verloren. Die vierköpfige Projektgruppe, die vor Monaten für diese S-Bahn installiert wurde, arbeitet mit Hochdruck an einer theoretischen Lösung, die die potenziellen Zuschussgeber zufriedenstellen soll.

Mit dem ursprünglichen Zeitplan kommt man nun in Verzug. Eigentlich sollte der Kreistag vor der Sommerpause den Grundsatzbeschluss zur Reaktivierung der alten Schwarzwaldbahn fällen, jetzt wird es wohl Winter werden.

Riegger nennt die neuesten Entwicklungen einen "herben Rückschlag", aber er zweifelt nicht daran, dass dieses zentrale Infrastrukturprojekt nicht doch noch erfolgreich umgesetzt werden kann. Auch wenn der Zeitplan ambitioniert ist. Bis zum magischen Datum 2019 muss die S-Bahn abgerechnet sein, sonst sind besagte GVFG-Zuschusstöpfe leer. Riegger kommt das durchaus gelegen: "Es muss schon Druck im Kessel sein. Ich will den Zug auf die Schienen setzen – und das so schnell wie möglich."

Kommentar

Diese Nachricht kommt zur Unzeit. Ausgerechnet jetzt, da der Kreis Calw ohnedies von Negativschlagzeilen wie darbender Wirtschaftskraft und sinkender Touristenzahlen gebeutelt wird, steht das wichtigste Infrastrukturprojekt dieses Landstrichs, die S-Bahn Calw-Weil der Stadt auf der Kippe. Dabei schien der Nachweis des volkswirtschaftlichen Nutzens eine reine Formalie zu sein.

Die jüngsten Erhebungen sprechen indes eine andere Sprache. Demnach hat der Individual- und Busverkehr gen Böblingen und Stuttgart ab- statt zugenommen. Da liegt natürlich die Frage auf der Hand: Können solche Zahlen stimmen? Ein weiterer Stolperstein für das 70-Millionen-Projekt ist zudem der notwendige Umstieg in Renningen.

Lösung? Bislang Fehlanzeige. "Für leichtere Aufgaben gibt es andere Leute", sagt Landrat Riegger. Große Worte. Man wird ihn daran messen.