Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken kandidieren für den Bundesvorsitz der SPD. Foto: Kappeler

Insbesondere Einstellung der Politikerin zur GroKo missfällt ehemaligen Ministerialdirektor. 

Kreis Calw - Noch bis zum 29. November läuft der Mitgliederentscheid der SPD zur Frage, wer als nächstes den Bundesvorsitz der Partei übernehmen soll. Bekanntermaßen ist auch Saskia Esken unter den Kandidaten. Doch darüber ist nicht jedes SPD-Mitglied im Kreis Calw begeistert.

Es ist eine Entscheidung, die die künftige Richtung der SPD bestimmen dürfte: 425 630 Mitglieder der Partei sind derzeit aufgerufen, entweder Olaf Scholz und Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zu den Bundesvorsitzenden zu wählen.

Während der Calwer SPD-Kreisvorstand sich über Eskens Kandidatur freut, ist Manfred Stehle aus Althengstett weniger begeistert. Stehle ist seit mehr als 50 Jahren Mitglied der Partei, war unter anderem Ministerialdirektor (Amtschef) im Ministerium für Integration und im Kultusministerium der grün-roten Landesregierung. Stehle äußert sich nicht oft öffentlich zu Angelegenheiten der SPD. Wenn es ihm wichtig erscheint – wie in diesem Fall – möchte er sich aber doch einbringen. Mit einem "Zuruf von der Seitenlinie", wie er es nennt.

Zu viel Kritik

Insgesamt, so erklärt Stehle, schätze er die Arbeit von Esken als Kreisvorsitzende der SPD. Dass die Partei vor Ort gut aufgestellt sei, rechne er auch ihrem Einsatz zu. "Bemerkenswert sind ihr Mut und die Leidenschaft, mit der sie das Amt der Bundesvorsitzenden der SPD anstrebt", lobt der ehemalige Ministerialdirektor. Allerdings habe er Zweifel, ob Esken die SPD in eine gute und erfolgreiche Zukunft führen kann.

Insbesondere die Einstellung der Politikerin zur Großen Koalition (GroKo) missfällt Stehle. In seinen Augen kritisiert Esken die Arbeit der GroKo zu viel. "Jüngstes Beispiel ist die von der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen beschlossene Grundrente, mit der Altersarmut wirksam bekämpft werden kann", führt der ehemalige Ministerialdirektor aus. Alleine in Baden-Württemberg würden rund 150 000 Menschen von der Grundrente profitieren. Esken gehe das beschlossene Konzept aber nicht weit genug, obwohl es deutlich eine sozialdemokratische Handschrift trage. "Das macht die eigenen Leistungen klein", ist Stehle überzeugt. Stattdessen solle die Partei selbstbewusst und stolz auf die eigenen Leistungen auftreten. Zudem trage Eskens Verhalten dazu bei, dass die SPD sowohl als Regierungs- als auch als Oppositionspartei wahrgenommen werde.

Die Politikerin beklage darüber hinaus, dass die SPD in der GroKo Kompromisse eingehen müsse und deshalb kein eigenes Profil gewinnen könne. "Die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Kompromiss sind aber ein Wesensmerkmal der Demokratie. In der Politik müssen – auf allen Ebenen – ständig Kompromisse geschlossen werden, um Ziele zu erreichen", meint Stehle.

Steinige Weg in die Opposition

Nicht zuletzt ist der ehemalige Ministerialdirektor unzufrieden, dass Esken damit liebäugele, die GroKo zu verlassen. Für die SPD bleibe dann nur der steinige Weg in die Opposition. "Opposition hieße aber Verzicht auf Führen und Gestalten, Verzicht auf sozialdemokratische Politik zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen", unterstreicht Stehle. "Zurecht hat der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering beklagt, dass ›Opposition Mist ist‹".

Ein Linksbündnis, dem Saskia Esken grundsätzlich offen gegenüberstehe, sei derzeit nicht mehrheitsfähig. In der Bundesrepublik würden Wahlen ohnehin in der politischen Mitte entschieden und daran werde sich, trotz stärker werdender Ränder, hoffentlich auch nichts ändern. "Die politische Mitte wird geprägt von den Leistungsträgern unserer Gesellschaft und Wirtschaft, den Facharbeitern, Ingenieuren, Gewerbetreibenden, Bildungsbürgern, Kulturschaffenden", zählt er auf. Für sie müsse die SPD Politikangebote unter den Bedingungen von Globalisierung, Digitalisierung und demografischem Wandel entwickeln. Das könne sie, ohne die sozial Schwächeren zu vernachlässigen. Denn Leistung und Gerechtigkeit gehörten zusammen.