An dieses Bild werden sie sich gewöhnen müssen: Landrat Helmut Riegger und sein Kämmerer Albrecht Reusch vor Gericht im Fokus des bundesweiten Interesses. Der BDPK wird mit seinem Musterprozess gegen den Landkreis Calw in die nächste Instanz gehen. Foto: Buckenmaier

Bundesverband Deutscher Privatkliniken wird mit Klage gegen den Kreis nach Niederlage die nächste Instanz anrufen. Mit Kommentar.

Kreis Calw - Für Landrat Helmut Riegger kam der Richterspruch in Tübingen einer "Befreiung" gleich. Doch diese Freiheit währt nur kurz. Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) wird es bei seiner juristischen Niederlage vor dem Landgericht nicht bewenden lassen und versuchen, in nächster Instanz den Landkreis Calw bei seiner Klinikfinanzierung an die Kandare zu nehmen.Vier Wochen haben die Prozessbeteiligten Zeit, um gegen das Urteil, das die 5. Zivilkammer am Tübinger Landgericht in diesem bundesweit Aufsehen erregenden Fall gesprochen hat, Berufung einzulegen. Doch beim BDPK sind die Würfel längst gefallen. Schon lange vor Prozessbeginn hatte der Verband deutlich signalisiert, dass er die aus seiner Sicht wettbewerbswidrige Krankenhaussubventionierung im Kreis Calw wenn’s sein muss quer durch alle Instanzen bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof verhandelt wissen will.

"Hier geht’s einfach um Missmanagement"

Hintergrund: Der Landkreis Calw hat den beiden Kreiskliniken in der Vergangenheit wiederholt Finanzspritzen in Form von Investitionszuschüssen und Ausfallbürgschaften gewährt. Vor dem Hintergrund der andauernden Jahresverluste beschloss der Kreistag Ende 2012, bis zum Jahr 2016 die zu erwartenden Defizite mit Steuergeldern auszugleichen. Das wiederum rief den BDPK auf den Plan, der die Auffassung vertritt, dass diese zusätzlichen Finanzhilfen außerhalb der regulären Krankenhausfinanzierung gegen das Verbot staatlicher Beihilfen im EU-Vertrag verstoßen. Der Berliner Lobbyverband, dem 1000 Privatkliniken und Reha-Einrichtungen angehören, beschloss, am Kreis Calw ein Exempel zu statuieren. Doch scheiterte man in erster Instanz in Tübingen. Die Zivilkammer wies die Klage ab mit der Begründung, dass der Kreis Calw durch das Landeskrankenhausgesetz in Baden-Württemberg quasi dazu verdonnert sei, eine medizinische Grundversorgung im Kreis sicher zu stellen – und im Zweifel auch Geld zuschießen müsse.

Doch zur Rechtskräftigkeit dieses Urteils, das gleichsam ein Präzedenzfall für alle defizitären Kliniken in öffentlicher Hand wäre, wird es nicht kommen, wenn der BDPK wahr macht, was sein Hauptgeschäftsführer Thomas Bublitz im Gespräch mit unserer Zeitung angekündigt hat: "Wir werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in Berufung gehen." Bublitz geht davon aus, dass der Vorstand des Verbandes bei seiner nächsten Sitzung in zwei Wochen diesen Schritt beschließen wird.

Die Kriegskasse des Berliner Vereins ist offenbar prall gefüllt. Der Gang durch die Instanzen – vom Landgericht zum Oberlandesgericht Stuttgart, zum BGH und schließlich zum Europäischen Gerichtshof – verschlingt Hunderttausende Euro. Obwohl der Landkreis Calw in erster Instanz obsiegt hat, summierten sich bei ihm die Anwalts- und Gerichtskosten nur für diesen kurzen Prozess in Tübingen nach Informationen unserer Zeitung auf mehr als 100 000 Euro. Und darauf wird der Kreis vorerst sitzen bleiben. Erst wer in letzter Instanz verliert, wird den Löwenanteil aller Prozesskosten übernehmen müssen – über vier Instanzen eine runde halbe Million Euro, wie Landkreis-Pressesprecher Timo Stock hochgerechnet hat.

Während dem Landkreis bei dieser juristischen Auseinandersetzung kein Verband finanziell beispringt, ist der Privatklinikverband für solche Fälle gewappnet: "Unser Mitgliedsbeitrag ist dazu da, um solche Aufgaben zu finanzieren", konstatiert der BDPK-Geschäftsführer und schiebt nach: "Wir müssen nicht zum Landkreistag gehen und sagen: Gib mir Geld, damit ich das bezahlen kann."

Auch werde sein Verband keine neuen Argumente recherchieren: "Unsere Argumentation bleibt unverändert." Der Landkreis Calw werde durch besagten Beschluss des Kreistages aus dem Jahr 2012 zwischen 30 und 40 Millionen Euro ausgeben müssen, um die Defizite der beiden Kliniken zu decken. "Hier geht’s einfach um Missmanagement", wettert Bublitz, "dass diese Defizite über fünf Jahre gedeckt werden sollen, ist ein Skandal."

Der Mann aus Berlin ist auch bestens darüber informiert, was die großen Projekte des Landkreises und ihre Finanzierung anbelangt: "Wenn man die Krankenhäuser vernünftig managen würde, wäre auch Geld für die S-Bahn da", sagt er. Aufmerksam hat man in Berlin verfolgt, welche Botschaften Ministerpräsident Kretschmann bei seinem Besuch vor wenigen Wochen im Kreis Calw verbreitet hat: Dass man nämlich nur Kliniken bauen soll, wie der Landesvater mahnte, die auch von den Kunden angenommen werde. "Das ist 1:1 unsere Argumentation", meint Bublitz. Und noch einen Seitenhieb wollte er sich mit Blick auf die jüngste Kreistagsentscheidung mit dem geplanten Neubau in Calw nicht verkneifen: "Man kann auch in einer alten Klinik gute Medizin machen."

Kommentar: Vorschnell

Roland Buckenmaier

Es ist leicht, einen Sieg zu erkämpfen, doch schwer, ihn zu bewahren. Dieses Sprichwort bewahrheitet sich in dem Musterprozess, den der Bund Deutscher Privatkliniken wegen angeblicher Wettbewerbsverzerrung gegen unseren Landkreis führt. Natürlich, die erste Schlacht vor dem Tübinger Landgericht hat man gewonnen, aber ein Sieg auf ganzer Linie ist in weite Ferne gerückt. Im Landratsamt wurde zu früh gejubelt.

Die Berliner Lobbyisten wollen ein Exempel statuieren und durch alle Instanzen gehen. Und dabei steht mehr auf dem Spiel als Hunderttausende an Prozesskosten. Wenn unser Landkreis am Schluss verliert, steht die deutsche Kliniklandschaft vor einem Scherbenhaufen. Mitgefangen mitgehangen. Warum springt also kein Verband dem armen Kreis Calw finanziell bei? Was Solidarität anbelangt, kann man von den Privaten noch viel lernen.