Musterklage der Privatkliniken: Landrat Helmut Riegger versucht in der Hauptstadt den Fokus auf seinen Kreis zu lenken.
Kreis Calw/Berlin - Aus dem verregneten Nordschwarzwald ins verschneite Berlin: Die frostigen Rahmenbedingungen des kurzen Abstechers von Landrat Helmut Riegger in die Hauptstadt hatten Symbolcharakter. Eiszeit herrscht auch zwischen dem Kreis Calw und dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK). Man korrespondiert nur noch über Anwälte miteinander. Duplizität der Ereignisse: Während der Calwer Kreischef gemeinsam mit der Spitze des Interessenverbandes kommunaler Krankenhäuser (IVKK) – quasi dem komm- unalen Pendant zum BDPK – die versammelte Fachpresse darüber informieren wollte, welche grundsätzlichen Defizite im Krankenhausbereich im Allgemeinen bestehen und vor welchen Herausforderungen der Kreis Calw vor diesem Hintergrund im Besonderen steht, tagte am selben Tag der BDPK-Vorstand und segnete ab, was dessen Geschäftsführer Thomas Bublitz schon vor Tagen gegenüber unserer Zeitung angekündigt hatte: Die Privat-Lobbyisten gehen gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen in Berufung, das in erster Instanz die Klage des BDPK gegen den Kreis Calw abgewiesen hatte.
Im Gegensatz zu dem Kläger kamen die Tübinger Richter zur Überzeugung, dass die finanzielle Unterstützung von kommunalen Kliniken durch die öffentliche Hand eben kein Wettbewerbsverstoß darstellt. Aber der BDPK lässt diese Niederlage nicht auf sich sitzen und wird die nächste Instanz anrufen: das Oberlandesgericht in Stuttgart. Im Calwer Landratsamt stellt man sich schon auf eine monate-, wenn nicht sogar jahrelange juristische Auseinandersetzung ein. Schon in erster Instanz dauerte es sieben Monate, bis ein Urteilsspruch fiel. Beim Oberlandesgericht sei, so erklärte der Justiziar im Calwer Landratsamt, Matthias Kreuzinger, nicht vor Anfang 2015 mit einer Entscheidung zu rechnen. Sollte der Weg durch die Instanzen – den beide Seiten zu gehen bereit sind – auch den Bundesgerichtshof und schließlich den Europäischen Gerichtshof passieren, werden nach Einschätzung Kreuzingers noch weitere zwei Jahre ins Land gehen.
Einig waren sich Landrat Riegger und die beiden Spitzenvertreter des IVKK, Vorsitzender Bernhard Ziegler und Geschäftsführer Uwe Aischner, dass die so genannte duale Finanzierung der Krankenhäuser nicht mehr funktioniert. Je nach Behandlungsschwere der Patienten bekommen die Kliniken von den Krankenkassen Fallpauschalen erstattet, die aber mit den Kostenentwicklungen nicht Schritt halten würden. In den vergangenen drei Jahren seien diese Pauschalen um jeweils ein Prozent jährlich angehoben worden, rechnete Landrat Helmut Riegger vor, dagegen seien die Personalkosten um zehn bis 15 Prozent gestiegen.
Die Folge: Auf viele Behandlungen legen die Kliniken drauf. Zum Beispiel bei den Geburten: Weil in Nagold so wenig Kinder zur Welt kamen, aber rund um die Uhr das komplette ärztliche Personal bereit stehen musste, kostete jede Geburt die Klinik 1500 Euro. Die Konsequenz: Die Geburtshilfe musste dicht machen. Währenddessen, ereiferte sich Riegger, "sitzen die Krankenkassen auf 30 Milliarden Euro Rücklagen." Und trotz dieser Milliarden auf der hohen Kante würden die Kassen heute noch von den zumeist defizitären kommunalen Kliniken eine Sonderumlage kassieren – eine Umlage, die noch aus Zeiten stammt, als die Krankenkassen finanziell klamm waren.
Und im Gegensatz zu den Privatkliniken könnten die Kliniken im Kreis Calw eben keine "Rosinenpickerei" betreiben, sagte Riegger, und sich nur den lukrativen Behandlungen zuwenden. Wie die Praxis bei den Privaten mitunter aussehen kann, illustrierte Riegger an einem Beispiel: So habe eine renommierte Fachklinik aus einem Nachbarkreis einen Patienten nachts nicht angenommen, weil sie über keinen Notfalldienst verfügt habe. Stattdessen chauffierte man den Patienten mit dem Roten Kreuz ins Nagolder Krankenhaus, wo man ihn versorgte. Am anderen Tag holte man den Patienten demzufolge wieder ab und behandelte ihn in der Privatklinik weiter.
Auch das zweite finanzielle Standbein der Kliniken, die Erstattung der Investitionskosten durch die Länder, droht wegzubrechen. Baden-Württemberg subventioniert solche Investitionen zu maximal 50 Prozent. Das bedeutet wiederum, dass dringend notwendige Anschaffungen von neuen Geräten oder Kliniksanierungen teils aus Eigenmitteln finanziert werden müssen - mit dem Effekt, dass diese Investitionen (im Gegensatz zu den Zuschüssen) in der Bilanz abgeschrieben werden müssen. Die Kliniken rutschen dadurch noch tiefer in die roten Zahlen: Von den sechs Millionen Euro Verlust, die die Kreiskliniken Calw und Nagold 2012 machten, geht die Hälfe auf Abschreibungen und Tilgung zurück. Der reine Betriebsverlust lag bei drei Millionen Euro.
Musterprozess hin oder her: Die Krankenhäuser seien eben keine renditeorientierten Wirtschaftsunternehmen, betonte die IVKK-Spitze in Berlin. Und die Defizite, unterstrich Landrat Riegger, seien eben nicht Folge von Missmanagement, sondern Konsequenz aus der chronischen Unterfinanzierung: "Sie können sofort einsteigen, wenn sie wollen", erklärte er an die Adresse der Privaten gewandt, "aber sie werden es nicht besser machen."