Dank des Versorgungsmodells profitieren Patienten von kürzeren Wartezeiten. Foto: dpa/Karmann

28.000 AOK-Versicherte profitieren von Versorgungsmodell, das sich in zehn Jahren bewährt hat.

Kreis Calw - Seit zehn Jahren gibt es die so genannte hausarztzentrierte Versorgung im Landkreis Calw. Sowohl Ärzte wie auch die AOK ziehen eine positive Bilanz.

Vor zehn Jahren wurde vom Hausärzteverband, MEDI und der AOK Baden-Württemberg der bundesweit erste Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung (HZV) unterzeichnet. Damit wurde der Hausarzt als Lotse im Gesundheitssystem etabliert. Die beiden wichtigsten Ziele dieses Modells: Zum einen soll der Patient besser versorgt, zum anderen Geld gespart werden.

Landesweit nehmen 1,6 Millionen AOK-Versicherte am Hausärztevertrag teil. Auf Medizinerseite sind rund 5 000 Hausärzte inklusive Kinder- und Jugendärzte im Rahmen des Vertrages aktiv.

Wie aber beurteilen Akteure im Landkreis Calw den Hausärztevertrag? "Nach zehn Jahren intensiver Arbeit ist es gelungen, den HZV als alternative Regelversorgung zu verankern, die allen Beteiligten nutzt: unseren Versicherten, der Ärzteschaft und der AOK", stellt Hartmut Keller, Geschäftsführer der AOK Nordschwarzwald, fest.

Im Landkreis Calw nutzen die HZV 28 000 AOK-Versicherte, die sich an 55 Ärzte wenden können. In Facharztverträgen sind 25 Mediziner aktiv, die sich um 11 500 Patienten kümmern. In der gesamten Region Nordschwarzwald beteiligen sich 191 Hausärzte, die knapp 100 000 AOK-Patienten behandeln. Hinzu kommen 101 Fachärzte der Bereiche Kardiologie, Gastroenterologie, Psychiatrie/Neurologie/ Psychotherapie (PNP), Orthopädie, Rheumatologie, Urologie und Diabetologie, denen knapp 42 000 Versicherte der Gesundheitskasse vertrauen. "Der Anteil von 59 Prozent aktiven HZV-Ärzten im Landkreis Calw ist ein toller Wert", so Hartmut Keller. Die Gruppe der über 50-Jährigen stellten überdies die Mehrzahl der eingeschriebenen HZV-Versicherten dar. Die Vorteile der hausarztzentrierten Versorgung kämen damit vor allem denen zu Gute, die dies besonders benötigten.

"Ich habe so zum Nutzen meiner Patienten den Überblick"

"Durch die HZV werde ich als Allgemeinmediziner gestärkt", betont Jürgen Mutschler, der in Hirsau eine Arztpraxis führt. Als qualifizierter "Rundum-Versorger" vor Ort behandle er nicht nur alle Patienten, sondern stehe als Koordinator im engen Austausch mit Fachkolleginnen und -kollegen. "Ich habe so zum Nutzen meiner Patienten den Überblick und steuere damit die Behandlung", erklärt Mutschler, der von Beginn an mit dabei ist. Dadurch werde die Fehlmedikation sowie unnötige und belastende Doppeluntersuchungen vermieden. Außerdem seien die im HZV-Vertrag vorgesehenen engmaschigen Betreuungsmodule für die Gesundheit chronisch erkrankter Personen bedeutsam. So sei in diesem Jahr für 15 Risikopatienten ein Krankenhausaufenthalt verhindert worden.

Diese Feststellung belegen die seit zehn Jahren begleitenden Evaluationen der Universitäten Frankfurt/Main und Heidelberg. HZV-Patienten mit koronaren Herzerkrankungen weisen pro Jahr 1 900 weniger Krankenhausaufenthalte und rund 17 000 Krankenhaustage weniger aufgrund kürzerer Liegezeiten auf. Bei Diabetikern seien deutlich weniger schwerwiegende Komplikationen zu beobachten. Über einen Beobachtungszeitraum von sechs Jahren (2011 bis 2016) wurden rund 4 000 schwerwiegende Komplikationen wie Amputation, Dialyse, Erblindung, Herzinfarkt oder Schlaganfall in der HZV-Gruppe vermieden. Bei Betrachtung des Fünf-Jahres-Zeitraums 2012 bis 2016 zeigt sich für Professor Joachim Szecsenyi von der Uni Heidelberg, dass das Sterberisiko in der HZV geringer sei als in der Regelversorgung. Das zugrunde liegende statistische Überlebenszeitmodell weise demnach eine Zahl von knapp 1 700 verhinderten Todesfällen in der HZV aus.

Auch die Ärzte profitieren. "Die leistungsgerechte Honorierung in festen Eurobeträgen ohne Budgetierung sichert die wirtschaftliche Zukunft unserer Praxen und bietet Planungssicherheit für Investitionen und laufende Kosten", sagt Allgemeinmediziner Mutschler. Und mit der Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis – der VERAH – steht die HZV für moderne, teamorientierte Praxisstrukturen. Denn die VERAH entlastet die Mediziner etwa bei der Versorgung der älteren und multimorbiden Patienten. Sie führt Hausbesuche durch und übernimmt medizinische Tätigkeiten, die nicht zwingend vom Arzt geschehen müssen. "HZV-Praxen sind", so Mutschler, "für die Übernahme durch den ärztlichen Nachwuchs erheblich attraktiver und damit auch ein Mittel gegen den Ärztemangel im ländlichen Raum."

Die AOK-Versicherten im HZV profitieren außerdem von zusätzlichen Serviceleistungen. Dazu zählt die Begrenzung der Wartezeit, bei Bedarf für Berufstätige eine Abendsprechstunde, im Bedarfsfall die zeitnahe Vermittlung von Facharztterminen, zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen, die Befreiung von Zuzahlungen und die Teilnahme am AOK-Facharztprogramm. Jährlich durchgeführte Umfragen unabhängiger Forschungsinstitute belegen die Attraktivität der HZV. Demnach sind 95 Prozent der Befragten sehr zufrieden und 90 Prozent würden den HZV-Vertrag weiterempfehlen. Hauptgründe sind für 89 Prozent die Koordination der Behandlung durch den Hausarzt, für 79 Prozent die bessere Zusammenarbeit der Ärzte und für 76 Prozent kurze Wartezeiten beim Hausarzt mit weniger als einer halben Stunde.

Obwohl der Hausarztvertrag für die AOK Baden-Württemberg mit hohen Ausgaben verbunden ist, lohnt er sich in der Endabrechnung. 2017 investierte die AOK Baden-Württemberg 618 Millionen Euro in die Hausarzt- und Facharztverträge. Die Gesundheitskasse hätte demnach im gleichen Zeitraum in der Regelversorgung rund 50 Millionen Euro mehr ausgegeben.