Verwaiste Geburtsklinik: An diesen Anblick muss man sich in Nagold jetzt gewöhnen. Aus der vorübergehenden Schließung wird eine endgültige. Foto: Fritsch

Aufsichtsrat fällt nach emotionaler Debatte die Entscheidung: Nagolder Kreißsaal wird nicht mehr aufgemacht.

Kreis Calw - Vor zwei Wochen hat der Klinikverbund eine "vorübergehende" Schließung von Nagolds Geburtsklinik angeordnet. Seit Dienstagabend steht fest: Diese Stilllegung ist endgültig. "Das ist kein schöner Tag", erklärte Landrat Helmut Riegger nach der entscheidenden Aufsichtsratssitzung.

Dieses Aus von Nagolds Geburtsklinik hatte sich schon seit geraumer Zeit abgezeichnet. Auch im Aufsichtsgremium der beiden Kreiskliniken sorgte dieses symbolträchtige Thema immer wieder für hitzige Debatten. In der gestrigen Sitzung sei die Diskussion "sehr emotional" gewesen, erklärte Kreischef Riegger in einer eigens anberaumten Pressekonferenz. Letztlich sei die deutliche Mehrheit des Gremiums aber zur Überzeugung gelangt, dass eine Aufrechterhaltung der Nagolder Geburtsabteilung medizinisch nicht mehr vertretbar sei.

Teure Leasingärzte "nicht mehr zu rechtfertigen"

Weniger die wirtschaftlichen Ergebnisse seien entscheidend gewesen (Verlust in diesem Jahr: 792.000 Euro), sondern die personelle Situation. Nicht nur die drei Belegärzte seien "schwierig unter einen Hut zu bringen" gewesen, erklärte Riegger, auch die teuren Leasingärzte mit einem Monatsalair von 65.000 Euro seien nicht mehr zu rechtfertigen gewesen.

Als noch zwei Hebammen krankheitsbedingt ausfielen – eine davon brach mit einem Kreislaufkollaps im Kreißsaal zusammen – zog Klinikverbund-Chefin Elke Frank vor zwei Wochen die Reißleine und schloss die Abteilung vorübergehend (wir berichteten). Nach dem Beschluss des Aufsichtsrates hätte der Betrieb mindestens bis zum Jahresende aufrecht erhalten werden sollen; auf Grundlage des neuen Klinikgutachtens sollte dann eine Entscheidung getroffen werden. Dieses neueste Gutachten schlug eine Kooperation mit Herrenberg vor – was nichts anderes hieß als "schließen". Die Aufsichtsräte schlossen sich gestern dieser gutachterlichen Empfehlung an. Heute morgen werden die Mitarbeiter, die sich noch nicht anderweitig beruflich orientiert haben, in einer Versammlung informiert. Laut Frank soll es keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Zugleich will die Klinikverbund-Geschäftsführerin eruieren, ob in Nagold alternative Geburtskonzepte angeboten werden können. Bis vor geraumer Zeit gab es zum Beispiel in Ammerbuch ein Hebammenhaus, das aber auch schließen musste.

Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann hatte vergangene Woche zwar nochmals einen Vorstoß unternommen, um die Geburtsklinik doch noch zu retten. Sein Vorschlag, dass der Klinikverbund Südwest der Nagolder Geburtsklinik in einer Art rollierendem System personell unter die Arme greift und damit die teuren Honorarärzte überflüssig macht, ist indes nicht neu und wurde schon vor Monaten verworfen. Frank: "Dafür kommt nur ein Facharzt in Frage und so viele Oberärzte haben wir nicht." Großmann, der bei der gestrigen Entscheidung als Mitglied des Aufsichtsrates mit am Tisch saß, hatte es kommen sehen: "Es kann sein", erklärte er Stunden vor der Sitzung, "dass wir den bitteren Weg gehen müssen." Aber für den Nagolder OB ist noch nicht aller Tage Abend: "Der medizinische Markt ist volatil" – also flüchtig und sprunghaft. Und, so meinte er vieldeutig: "Das ist nicht der letzte Tag der Geschichte."

In Calw, so der Nagolder OB, gebe es "die gleiche Malaise." Schon vor Wochen hatte Konzernchefin Elke Frank gegenüber unserer Zeitung erklärt, dass personelle Ausfälle bei den Belegärzten auch in Calw kaum zu kompensieren seien. Jürgen Großmann, im Kreistag Vorsitzender der CDU-Fraktion, gegenüber unserer Zeitung: "Im ganzen Kreis Calw keine Geburtsklinik: Ist das eine Perspektive, mit der man sich anfreunden kann? Ich nicht!"

Natürlich gebe es die Möglichkeit, in Nagold eines Tages wieder eine Geburtsklinik zu eröffnen, hieß es gestern in der Pressekonferenz, "aber dann muss man auch ein Preisschild hinmachen", meinte Riegger. "Dafür brauchen wir eine Hauptabteilung mit Chefarzt, drei Oberärzten, sechs Assistenten und sechs Hebammen", rechnete Konzernchefin Frank vor. Allein die Personalkosten würden mehr als zwei Millionen Euro betragen. Bei 1500 Euro Kostenerstattung pro Geburt, so Kreiskämmerer Albrecht Reusch, könne man sich das Defizit leicht ausrechnen. In diesem Jahr kamen im Nagolder Kreißsaal 239 Kinder zur Welt.