Die Corona-Pandemie stellt die Menschen vor große Herausforderungen. (Symbolfoto) Foto: Pixabay

Experte Christoph Hirsch gibt Tipps, wie man besser mit seinen Sorgen umzugehen lernt. Energie daraus schöpfen.

Kreis Calw - Die Corona-Pandemie fordert ihren Tribut – Hunderttausende Menschen sind erkrankt, Tausende gestorben, Schulen sind geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Nicht irgendwo, sondern hier. Das löst bei vielen Menschen Ängste und Stress aus. "Nur bedingt gute Ratgeber", wie Christoph Hirsch, Stress-Experte und Autor des Buchs "Ein Quantum Stress" erklärt.

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Im Interview beantwortet Hirsch Fragen rund um Ängste bezüglich der Corona-Krise und wie die Menschen den Stress auch zu ihrem Vorteil nutzen können. Wenn das Mindset – also ihre geistige Haltung – stimmt.

Wann wirken Angst und Stress positiv, wann negativ?

Immer dann, wenn wir mit neuen oder unbekannten Situationen konfrontiert werden oder wir uns selber, unsere Lieben oder auch unser Hab und Gut in Gefahr sehen, entstehen Ängste und Stress. Wir sollten beides auch gar nicht vermeiden wollen, da es eher Ressourcen sind, die wir nutzen können als Gegner, die es zu bezwingen gilt.

Die Stressreaktion ist ein Instinkt, der in uns zahlreiche biologische Systeme aktiviert, der uns helfen kann aus einer Gefahrensituation zu entkommen oder eben eine Herausforderung anzunehmen und zu meistern. So erhält unter Stress unser Gehirn in dieser Phase aus einer Umverteilung der körpereigenen Ressourcen unter anderem mehr Sauerstoff und mehr Glukose. So kann es besser arbeiten. Stress versorgt uns mit richtig viel Energie, lässt uns leistungsfähiger und aufmerksamer sein.

Negativ wird es dann, wenn wir dieses System zu oft aktivieren oder aber unsere physischen oder psychischen Ressourcen scheinbar nicht ausreichen, um die an uns gestellten Anforderungen bewältigen zu können. Dabei ist es völlig irrelevant, ob die Gefahren und Herausforderungen die wir wahrnehmen real sind oder nur in unserem Kopf existieren – die Körperreaktionen sind exakt dieselben. Das Ergebnis ist eine erhöhte Gereiztheit und Dünnhäutigkeit.

Der Fokus unserer Gedanken kreist ständig um das gleiche Problem, wir reagieren in vielen Situationen unangebracht, sehen vor lauter Risiken die Chancen nicht mehr und kreieren ein Bild dieser Welt, das negativer ist als die Realität.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, es ist absolut okay Ängste zu spüren und Stress zu empfinden. Die Wahrheit ist aber auch, dass wir eine Tendenz dazu haben, uns viel zu oft mit Sorgen und Ängsten zu fluten, die nie Realität werden. Das Problem dabei: Wir verschleudern dabei unglaublich viel Energie, die wir auch im Positiven nutzen könnten und die uns vielleicht genau dann fehlt, wenn wir sie wirklich einmal bräuchten.

Wie kann ich Ängste nutzen?

Ängste und ein erhöhtes Stresslevel sind sehr häufig dann anzutreffen, wenn es um für uns sehr wichtige Dinge im Leben geht. Studien zeigen, dass sich die meistgenannten Stressursachen auf die Bereich in unserem Leben beziehen, die uns auch den meisten Sinn verleihen.

Das Coronavirus nimmt in diesen Tagen massiven Einfluss auf viele Bereiche unseres Lebens. Aber welche davon sind wirklich nachhaltig gefährdet? In den wenigsten Fällen wird das ganze Leben auf den Kopf gestellt. Bei aller entstandenen Unsicherheit gibt es Lebensbereiche und Menschen, auf die man sich verlassen kann, die sich eben nicht verändern. Es gilt klar zu differenzieren: Welcher Lebensbereich wankt gerade und was ist stabil und zuverlässig?

Dabei geht es nicht um positives Denken. Vielmehr darum eine ehrliche Bestandsaufnahme vorzunehmen. Ob ein Mensch die Herausforderungen dieser Tage als große Belastung wahrnimmt oder als eine Aufgabe sieht, die es zu meistern gilt, ist kein Gradmesser dafür, wie hart eine individuelle Situation ist, sondern einzig und allein eine Frage des Mindsets, mit der diese angegangen wird. Dieses Mindset wird auch maßgeblich beeinflussen, wie die jeweiligen Antworten auf diese Herausforderungen aussehen. In einer positiven Ausprägung lässt es produktive Fragen im Kopf entstehen: Was genau ist mein Beitrag, um die Situation zu verbessern? Was kann ich für meine Partnerschaft, Familie und meine Beziehungen tun? Wie kann ich meine Zeit sinnvoll nutzen? Welche Hilfe benötige ich und nehme ich auch an? Welche Verhaltensweisen ändere ich?

Was sind Ihre Tipps für weniger Angst und mehr Energie?

Oftmals reichen schon kürzeste Interventionen, um eine Einstellung zu einer Situation zu verändern. Das Problem dabei ist in der Wahrnehmung vieler Menschen, dass diese im ersten Moment zu einfach erscheinen um wirklich wirken zu können. Dennoch: einfach mal ausprobieren.

Erster Tipp: der eigene Atem. Unter Stress wird dieser kürzer und flacher. Mit einfachen Atemtechniken oder auch Yoga lassen sich Körper und Geist bei akutem Stress beruhigen und Angst reduzieren.

Zweiter Tipp: Bewegung und Sport: Beides trägt nicht nur zur Stärkung der körperlichen Fitness bei, sondern baut auch Stresshormone ab und steigert das persönliche Wohlbefinden. Dazu wird oft auch das Gehirn kreativer und schickt neue und andere Gedanken.

Dritter Tipp: Ernährung und Schlaf: Nicht nur, dass sich beides gegenseitig beeinflusst. Eine gute und ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf sind elementar für den körperlichen und geistigen Energiehaushalt und damit auch eine wichtige Ressource im Umgang mit Ängsten und Stress.

Vierter Tipp: Corona als Chance sehen. Wir alle erleben seit wenigen Tagen einen Alltag, den wir uns noch vor wenigen Wochen niemals hätten vorstellen können. Viele stehen vor der großen Herausforderung, ihr Leben ganz anders zu organisieren. Wir haben Sorgen um uns, unsere Angehörigen und Freunde. Einige kämpfen um ihre wirtschaftliche und finanzielle Existenz oder gar um ihr Leben. Zahlreiche Dinge werden nach Corona nicht mehr so sein, wie sie es vorher waren. Veränderungen sind aber auch niemals optional, denn das Leben ist permanente Veränderung – vielleicht in seiner reinsten Form.

Die Frage ist daher nicht, ob wir diese wollen oder nicht, sondern was wir aus dieser Erfahrung an Erkenntnissen erlangen, was wir daraus für die Zukunft lernen und was wir dringend ändern sollten.

Sorgen, Angst und Stress sind dabei nur dann gute Ratgeber, wenn wir die durch sie bereitgestellte Energie im positiven Sinne für uns nutzen und statt passivem Zusehen unsere Antworten auf diese Herausforderung aktiv gestalten.