Der Landkreis Calw muss immer mehr Geld für die Familienhilfe ausgeben. Foto: Pixabay

Landkreis vermeldet Rekordausgaben. Zuzug von Problemfamilien wegen günstiger Mieten.

Kreis Calw - Der Kreis Calw muss immer mehr Geld für die Familienhilfe ausgeben – erstmals mehr als zwölf Millionen Euro. Vor allem eines bereit Sorge: Der Zuzug von Problemfamilien aufgrund der günstigen Mieten im Landkreis.

"Es gibt kaum ein Land, dem es so gut geht wie uns. Und trotzdem lassen wir es an unseren Kindern aus", sagte Landrat Helmut Riegger in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses, nachdem Sozialdezernent Norbert Weiser und Georg Pfeiffer, Leiter der Abteilung Jugendhilfe am Landratsamt, die Zahlen des Jahres 2019 vorgetragen hatten. Sie bewegen sich in den meisten Bereichen auf einen alarmierend hohen Niveau – oder erreichen sogar einen neuen Spitzenwert.

Prekäre Situation in den Familien

Einen traurigen Rekord mussten Weiser und Pfeiffer insbesondere im finanziellen Bereich vermelden. Knapp 12,8 Millionen Euro gab der Landkreis im vergangenen Jahr für die einzelnen Maßnahmen der Jugendhilfe aus. Zum Vergleich: 2018 waren es noch 11,5 Millionen Euro, 2013 sogar unter acht Millionen Euro. Wie prekär die Situation in manchen Familien ist, machte Weiser an einem Beispiel deutlich: "Es gibt inzwischen Kinder, die nach dem Kindergarten nicht in eine Regelschule gehen können."

Leicht gesunken, aber immer noch auf einem hohen Niveau ist die Zahl an Kindern und Jugendlichen, die von der Jugendhilfe Gebrauch machen. Sie lag 2018 noch auf dem Rekordwert von 1238. Im vergangenen Jahr waren es dagegen nur noch 1224 Fälle. Im Zehn-Jahres-Vergleich dennoch eine erschreckend hohe Zahl, denn 2011 waren es mit 687 fast halb so viele Fälle.

393 mal Tageshilfe genehmigt

Wie im Vorjahr ist die am meisten in Anspruch genommene Hilfeart die Tagespflege. 393 der 1224 Fälle entfallen auf sie. 2018 waren es noch 439. Es folgen die sozialpädagogische Familienhilfe mit 235 und sonstige ambulante Hilfearten mit 190 Fällen. Ein historischer Höchststand wird in der Vollzeitpflege mit 147 Fällen erreicht. Anstiege gab es auch beim betreuten Wohnen (von 6 auf 13 Fälle), das genau wie die sozialpädagogische Familienhilfe eine vollstationäre Heimunterbringung verhindern soll. Bei der Heimerziehung blieb die Zahl mit 90 Fällen konstant.

Auffallend ist der Zuzug von Familien in den Landkreis Calw, die auf Familienhilfe angewiesen sind. Abzüglich der Wegzüge lag diese Zahl in den vergangen Jahren laut Pfeifer bei "netto 100". Dies erklärt sich der Leiter der Abteilung Familienhilfe mit den günstigeren Mieten im Kreis Calw. "Bei uns bekommt man für das gleiche Geld ein Zimmer mehr", sagt Pfeiffer und verdeutlicht: "Es wird gerne von Pforzheim nach Bad Wildbad, von Böblingen und Sindelfingen nach Nagold und von Karlsruhe nach Bad Herrenalb und Dobel gezogen. Wir bemerken auch einen Zuzug nach Altensteig von Nagold, weil es dort zunehmend teurer wird."

Starker Zuzug aus Ostdeutschland

Es sei aber auch ein starker Zuzug aus Ostdeutschland feststellbar, was die Mitarbeiter der Jugendhilfe zeitlich sehr in Anspruch nehmen kann. Pfeiffer: "Wenn eine Familie aus Rostock hierherzieht, dann müssen wir zweimal nach Rostock fahren, weil wir das administrativ begleiten müssen."

Ein neuer Rekord wird auch beim Unterhaltsvorschuss erreicht. Er wird vom Landkreis dann an den alleinerziehenden Elternteil gezahlt, wenn der andere Elternteil nicht für den Unterhalt des Kindes aufkommt. Nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2017 waren die Kosten für den Landkreis in diesem Bereich ohnehin in die Höhe geschnellt, 2019 erreichten sie mit Ausgaben in Höhe von knapp 2,5 Millionen Euro einen neuen Spitzenwert. Im Vergleich zum Vorjahr konnte die Refinanzierungsquote zwar leicht erhöht werden, da knapp 500 000 Euro von den unterhaltspflichtigen Elternteilen eingefordert werden konnte. Dennoch musste der Landkreis knapp zwei Millionen Euro aus eigener Tasche beisteuern – neuer Höchststand.

Der Jugendhilfeausschuss, dem neben Kreistagsmitgliedern Vertreter der Jugendverbände und Verbände der freien Wohlfahrtspflege angehören, nahm die Zahlen mit Besorgnis zur Kenntnis – und hofft auf mehr Unterstützung von Bund und Land. "Langfristig können wir das nicht alleine schultern", merkte Kreisrätin Rita Locher (Freie Wähler) an. Ratskollege Lothar Kante (SPD) pflichtete ihr bei: "Die Mehrkosten werden überproportional auf die Kommunen abgewälzt." CDU-Kreisrat Jochen Borg ächzte: "Die Zahlen nehmen zu, zu, zu. Das ist sehr beängstigend. Ich weiß nicht, wohin das noch führen soll." Mit Blick auf den starken Zuzug aus den Nachbarkreisen regte Borg insbesondere mit Blick auf seine Heimatstadt Bad Wildbad an: "Wir müssen uns bemühen, qualitativ besseren Wohnraum zu schaffen."