Dieser Schädel (Skull 236) eines vor rund 4300 bis 4600 Jahren lebenden Ägypters zeigt Spuren eines großen Krebsgeschwürs am Gaumen sowie Schädellöcher von Knochenmetastasen. Foto: © Tondini/Isidro/Camarós/2024

Die alten Ägypter waren meisterhafte Baumeister und Bestatter. Doch auch in der Heilkunde waren sie ihrer Zeit weit voraus. Chirurgische Spuren an einem mehr als 4300 Jahre alten Schädel deuten darauf hin, dass sie sogar Krebs-Operationen durchführten.

Die alten Ägypter waren Meister in der Mumifizierung ihrer Toten. Mit Mixturen aus kostbaren Essenzen und Zutaten bereiteten sie die Leichname ihrer Könige, aber auch von hohen Beamten auf ihre Reise ins Jenseits vor. Die Heilkunde war im Reich der Pharaonen so weit entwickelt, dass die Ägypter auch in der chirurgischen Medizin ihrer Zeit in vielem weit voraus waren. Sie behandelten Zähne, richteten Knochenbrüche und öffneten Schädel.

Schon vor 4300 Jahren Krebserkrankungen studiert

Schon vor mehr als 4300 Jahren könnten ägyptische Ärzte und Heiler sogar versucht haben, Krebstumore zu operieren. Indiz dafür ist ein altägyptischer Schädel, bei dem Archäologen Läsionen eines Gaumentumor samt Metastasen im Schädelknochen entdeckt haben – die möglicherweise ältesten Nachweise von Krebs in Ägypten.

Schnittspuren und Kerben an den Metastasen verraten, dass die antiken Heilkundigen diese Knochentumore operativ erkundeten oder versuchten zu entfernen, wie ein Forscherteam um Tatiana Tondini von der Universität Tübingen berichtet. Ihre Studie ist im Fachmagazin „Frontiers in Medicine“ veröffentlicht.

Krebsgeschwür am Gaumen und Metastasen im Schädelknochen

Ein schon seit vielen Jahren in der Sammlung der University of Cambridge aufbewahrter Schädel (Registriernummer: Skull 236) eines rund 30 bis 35 Jahre alten Mannes aus der Zeit um 2600 bis 2300 v. Chr. zeugt von diesen außergewöhnlichen chirurgischen Fähigkeiten.

Bei ihren Untersuchungen fanden die Forscher heraus, dass der Schädel deutliche Anzeichen eines Primärtumors am Gaumen aufweist. Zudem ist der Knochen von mehr als 30 kleinen runden Löchern und Schadstellen durchsetzt. Diese pathologischen Läsionen (anatomische Verletzungen) passen zu einem primären Nasen-Rachen-Krebstumor am Gaumen und sekundären Metastasen im Rest des Schädels.

„Der Schädel 236 repräsentiert damit einen der ältesten bekannten Krebsfälle aus dem alten Ägypten“, schreibt Tatiana Tondini. Bisher galt ein Skelett aus der Zeit um 1200 v. Chr. mit typischen Krebsläsionen an Knochen zu den frühesten Nachweisen dieser Erkrankung im alten Ägypten.

Nahansicht von Schnittspuren im Umfeld einer Läsion im Schädel 236 (oben li.), die von einer Krebs-Metastase verursacht wurde. Foto: © Tondini et al./Frontiers in Medicine/CC-by 4.0

Schnittspuren am Schädel deuten auf chirurgischem Eingriff hin

Die Wissenschaftler untersuchten mithilfe von Elektronenmikroskopen und Micro-Computertomografie das Umfeld der Knochenmetastasen am Schädel. Dabei entdeckten sie mehrere Schnittspuren neben einigen runden Knochenlöcher. „Als wir diese Schnittspuren zum ersten Mal unter dem Mikroskop sahen, konnten wir kaum glauben, was wir da sahen“, berichtet Tondini.

Aufnahmen des altägyptischen Schädels mit der Registriernummer 236 aus der Sammlung der University of Cambridge. Foto: © Tondini et al./Frontiers in Medicine/CC- by 4.0

Die Form und Lage der Schnitte deutet demnach darauf hin, dass sie der Freilegung oder sogar Entfernung der Krebsgeschwüre dienten. „Es scheint, als wenn die alten Ägypter eine Form der chirurgischen Behandlung durchführten, die mit diesen Krebstumoren zusammenhängt“, betont Koautor Albert Isidro vom Universitätsklinikum Sagrat Cor in Barcelona. „Das belegt, dass die ägyptische Medizin bereits experimentelle Therapien oder medizinische Forschung an Krebs durchführte.“

Onkologen im alten Ägypten

Allerdings lässt sich heute nicht mehr exakt estzustellen, ob die chirurgischen Präzisionsschnitte vor dem Tod des Patienten oder danach durchgeführt wurden. Den Forschern zufolge könnte es sich auch um die Autopsie eines gerade Verstorbenen handeln, der von den antiken Heilkundigen genauer untersuchen wurde.

„Dieser Fund ist ein einzigartiger Beleg dafür, wie die altägyptische Medizin versuchte, Krebs zu erforschen oder zu behandeln“,sagt Seniorautor Edgard Camarós von der Universität von Santiago de Compostela. „Dies liefert uns eine ganz neue Perspektive auf die Geschichte der Medizin.“