Krankenhausseelsorgerin Irmtraud Ahlers besucht im Katharinenhospital eine Patientin. Mehr als deren Namen weiß sie beim ersten Besuch oft nicht. Foto: Peter-Michael Petsch

34 evangelische und katholische Seelsorger spenden in den Stuttgarter Kliniken Trost und Hoffnung.

Stuttgart - Die Bibel haben sie selten dabei, auf bequeme Schuhe können Pfarrerin Irmtraud Ahlers und ihr katholischer Kollege, Pfarrer Joseph Wiedersatz, dagegen nicht verzichten. Denn die beiden Krankenhausseelsorger müssen bei ihren Patientenbesuchen im Katharinenhospital lange Wege durch die Flure zurücklegen. Mit 700 Betten und 35.000 Patienten im Jahr ist ihr Krankenhaus das größte in Stuttgart und der Region.

Beim ersten Besuch wissen die Seelsorger so gut wie nichts über einen Patienten – nicht einmal, wie alt er ist und welche Krankheit er hat. „Wir haben lediglich Listen mit den Namen. Manchmal steht die Religionszugehörigkeit dahinter. Doch meistens fehlt diese freiwillige Angabe“, sagt Ahlers. Die 54-Järige arbeitet seit vier Jahren im Katharinenhospital zusammen mit zwei evangelischen und drei katholischen Kollegen. Das Arbeitszimmer im Erdgeschoss teilen sie sich. Die meisten der insgesamt 34 hauptberuflichen Krankenhausseelsorger in Stuttgart sind wie Ahlers und Wiedersatz Pfarrer. Aber es sind auch Diakone und Ordensschwestern dabei.

„Der ökumenische Gedanke steht bei uns im Vordergrund“, sagt Ahlers. „Deshalb ist es für uns auch nebensächlich, ob ein Patient evangelisch oder katholisch ist, einer anderen Religion oder keiner Religion angehört.“ Die Seelsorger fragen alle Patienten, ob der Wunsch nach einem Gespräch besteht. Einige wenige besuchen sie täglich, die meisten jedoch nur ein einziges Mal. „Das hängt damit zusammen, dass sich durch die Fallpauschalen die Klinikaufenthalte stark verkürzt haben“, stellt Ahlers fest. Die liegen laut Statistik derzeit durchschnittlich bei sieben Tagen pro Patient.

„Was bei meinen Besuchen passiert, bestimmt der Patient“

Alles – die Krankheit, das Leben mit einem eventuell unheilbaren Leiden, der Beruf, die Familie, das möglicherweise nahende Lebensende und die Angst davor – kann Thema zwischen Seelsorger und Patient sein. „Was bei meinen Besuchen passiert, ob wir miteinander reden, ein Gebet sprechen oder singen, bestimmt aber der Patient“, versichert Ahlers. Mit einem Rentner betet die Pfarrerin an diesem Vormittag. Der 70-Jährige hat im Urlaub eine Hirnblutung erlitten und wurde am Urlaubsort notoperiert. Dass er noch am Leben ist, habe er seinem Schutzengel zu verdanken. „Der Glaube, dass mein Leben in Gottes Hand liegt, gibt mir Zuversicht. Und das Gebet bringt mich ihm nahe“, sagt er. Spontan faltet sein Bettnachbar, ein junger Türke, die Hände. „Stört Sie das Gebet?“, fragt ihn Ahlers vorsichtig. „Überhaupt nicht. Ich bin evangelisch und vom Islam konvertiert“, sagt er und spricht das Gebet mit. Danach sprudelt alles aus ihm heraus: Freunde wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben, seit er konvertiert ist. Zum Vater hat er Kontakt, aber den Sohn verstehen kann der nicht. Die Pfarrerin spürt, dass der junge Mann sich aussprechen möchte. Am kommenden Tag wird sie ihm so lange zuhören, wie er braucht, um ihr seine Geschichte zu erzählen.

Zunächst reagieren viele Patienten zurückhaltend, wenn die Pfarrer sie ansprechen. „Ich erwarte meine Frau“, sagt zum Beispiel ein Mittfünfziger. Ahlers weiß, dass kurz bevorstehende Besuche gern als Vorwand benutzt werden, um dem Gespräch mit den Seelsorgern auszuweichen, ohne das erklären zu müssen. „Das ist in Ordnung. Ich will mich nicht aufdrängen“, sagt sie. Von 100 Patienten, die Ahlers besucht, lehnen etwa zehn ein Gespräch mit der Seelsorgerin rundweg ab. Weitere zehn bewahren laut Ahlers „eine freundliche Distanz“, und etwa 80 freuen sich über ihren Besuch. Pfarrer Wiedersatz stellt fest, dass bei Klinikaufenthalten die Bereitschaft der Menschen wächst, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, und sie in der Ausnahmesituation offener für persönliche Gespräche sind als im Alltag. Allerdings gebe es auch die Patienten, die ihren Laptop und ihr Handy dabeihaben und das Krankenzimmer zum Büro umfunktionieren und ihre Seele auch im Krankenhaus außer Acht lassen.

Auf die Uhr schauen Seelsorger nie

Türöffner zur Seele der Patienten ist häufig die Frage nach der Art der Erkrankung und der Behandlungsmethode. Auch der Mittfünfziger, dessen Frau angeblich gleich kommt, taut auf. „Mir geht es nicht darum, die Kranken für die Kirche zu gewinnen, sondern darum, dass sie über das sprechen, was ihnen auf der Seele brennt“, versichert Ahlers und fügt nach einem kurzen Innehalten hinzu: „Auch über Tabuthemen wie Suizidgedanken. Es ist wichtig, dass sie ausgesprochen werden und die Kranken damit nicht alleine sind.“

Etwa zehn Besuche von zehn bis 20 Minuten machen Ahlers und Wiedersatz am Tag – manchmal sind es aber auch weniger. je nachdem, wie lange die Gespräche dauern. Auf die Uhr schauen die Seelsorger dabei nie. Ein geplanter Besuch fällt aus. „Die Patientin ist heute Nacht verstorben“, sagt die Stationsschwester. Naht das Lebensende, wird Wiedersatz von gläubigen katholischen Patienten oder deren Angehörigen auch gerufen, um den Sterbesegen zu sprechen. „Das dürfen zum Glück mittlerweile auch Laien. Denn nachts oder am Wochenende ist nicht immer ein Pfarrer da“, sagt Wiedersatz. Mit dem Sterbesegen nicht zu verwechseln sei die Krankensalbung. „Oft wird sie als Letzte Ölung bezeichnet. Doch die Krankensalbung ist ein Mittel zur Stärkung und Ermutigung. Das biete ich nicht beim ersten Besuch an, sondern vor großen Operationen und wenn ich den Patienten etwas kennengelernt habe.“

Der Tod hat für die Krankenhausseelsorger nichts Erschreckendes, er gehört für sie zum Leben. „Als schmerzvoll erlebe ich, wenn die Menschen sich etwas vormachen, weil sie die Wahrheit nicht aushalten und nicht über ihre Not sprechen können“, stellt Wiedersatz fest und erinnert sich an eine Patientin, die ihm erzählt habe, wie wunderbar sich ihre Familie um sie kümmere. Doch sei von der Familie nie jemand am Krankenbett gewesen. „So etwas lässt mich nicht los“, gibt Wiedersatz zu. Der 55-Jährige ist seit 13 Jahren Krankenhausseelsorger. Im Gegensatz zu Ahlers hat er diese Stelle unbefristet. Für die evangelischen Krankenhausseelsorger ist dieser Dienst auf acht Jahre begrenzt. „Damit wir unsere Erfahrungen aus der Krankenhausseelsorge in andere Bereiche einbringen können“, sagt Ahlers.