Warum das Land in der Zukunft verstärkt bestimmen sollte, wo künftig Krankenhäuser entstehen sollen und welche Schwerpunkte die Kliniken haben sollten - ein Kommentar von Alexander Ikrat.

Stuttgart - Kreisrat Paul Nemeth appellierte dieser Tage in Böblingen an die Kollegen, beim Umbau der Krankenhauslandschaft ihr Kirchturmdenken aufzugeben. Gemeint waren die Kommunalpolitiker aus dem Raum Leonberg, die um ihre örtliche Klinik bangen und die Verabschiedung eines Zukunftskonzepts für alle Häuser im Kreis verhindern wollten.

Der Christdemokrat mit Sitz auch im Landtag übersah, dass er selbst einen Kirchturm im Blick hatte. Mit der kurz darauf beschlossenen Großklinik auf dem Flugfeld zwischen Böblingen und Sindelfingen werden zwar möglicherweise die zentralen Funktionen aller vier Kreiskrankenhäuser optimal gebündelt.

Wie sich das Konstrukt mit einer Zentrale und zwei Grundversorgern in Leonberg und Herrenberg aber in die Kliniklandschaft der Region oder Baden-Württembergs einfügt, bleibt außen vor. Der Kirchturm steht auch im Herzen des Kreises. 

Nun ist es nicht so, dass sich die Landkreise für die Krone der Krankenhausschöpfung halten. Im Gegenteil: Sie wünschen sich, dass das Land aktiv wird. Tatsächlich räumt das Land allen Krankenhäusern Bestandsschutz ein. Die Ausgestaltung von Schwerpunkten bleibt den Kreisen und Großstädten überlassen. Welche Neubauten gefördert werden, ist letztlich Verhandlungssache. 

Es ist richtig, dass die Landkreise fleißig Hausaufgaben machen und weiter sind als jene in anderen Bundesländern, wo weniger leerstehende Betten abgebaut und weniger Verbünde geschmiedet wurden. Ob es aber die beste Lösung für die Bürger ist, mitten im Rems-Murr-Kreis in Winnenden eine Großklinik für fast 300 Millionen Euro zu bauen oder im Kreis Böblingen die nächste, die noch mehr kostet?

Das ist zweifelhaft, solange es keine Gesamtplanung für Baden-Württemberg oder sogar für Deutschland gibt, die vom alten Besitzstandsdenken Abstand nimmt. Dazu gehört die Abstimmung des Ballungsraums mit der Landeshauptstadt, wo an diesem Samstag Frauenklinik und Olgahospital neu eröffnet werden. 

Der finanzielle Druck von Bund und Land, die zu wenig Geld für Betriebskosten und Investitionen geben, bringt zentrale Großkliniken, die machtpolitisch gesetzt werden. Diese Zentralisierung birgt Risiken: Sie verstärkt die Landflucht, die Teile der Bevölkerung bereits angetreten haben, und sie wiegt die Öffentlichkeit in Sicherheit. Die Wege, die sich in der stauträchtigen Region zu Hauptverkehrszeiten ohnehin ziehen, werden noch weiter.

Großkliniken gehen am Bedürfnis vieler Patienten vorbei. Kleinere Häuser schneiden bei Befragungen oft am besten ab. Das Haus in Plochingen, jüngst bei der Techniker-Krankenkasse landesweit auf Platz vier, wird trotzdem mit Ausnahme der Psychiatrie geschlossen. Bei einer Planung über Kreisgrenzen hinweg wäre dies möglicherweise gar nicht nötig, und auch das Krankenhaus der Leonberger, von denen wohl die meisten eher nach Stuttgart tendieren, würde vielleicht eine andere Rolle spielen. 

Wäre, hätte, würde – Gewissheit bringt nur eine Planung aus einem Guss. Mit einer auskömmlichen Finanzierung, die die Bund-Länder-Kommission nun auf die Beine bringen muss. Schließlich ist die Krankenversorgung der wichtigste Punkt der Daseinsvorsorge – vor Verkehrswegen und sogar vor der Bildung.

a.ikrat@stn.zgs.de

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