Etienne Gillig, künstlerischer Grenzgänger zwischen Frankreich und Deutschland, seinem Publikum im Ebinger Kräuterkasten in kürzester Zeit alles beigebracht, was man über Franzosen und Deutsche, über Französisch und Deutsch wissen muss.
Das Klassenzimmer im Kräuterkasten ist voll besetzt; die Schülerinnen und Schüler sind aus Albstadt und auch aus der Partnerstadt Chambéry, französische und deutsche Wortfetzen schwirren durcheinander. Doch Etienne Gillig ist ein erfahrener Lehrer. Er blickt auf seine Taschenuhr; sie zeigt 19.30 Uhr an. „Schöne Nacht...“ singt Gillig, Cellospiel erklingt, und sofort wird es ruhig. Der Unterricht kann beginnen.
Lehrer Gillig weiß, wie man mit Schutzbefohlenen umgehen muss. Er spricht sie direkt an, lässt sie im Chor nachsprechen, was er vorsagt, und schreibt mit Kreide alles Wichtige auf eine Schiefertafel – um es alsbald wieder zu löschen. Er verwendet wunderschöne Plakate als Anschauungsmaterial, wird selbst zur Landkarte, sein Kopf markiert Paris, die Arme weisen nach Amerika und Deutschland.
Bier bestellen ist eineriskante Angelegenheit
Man muss das Lernen einer Sprache leicht machen: der Film – le film, das Telefon – le téléphone. Der Präsident? Ein Schüler ruft „Macron“ in die Runde. Alltagsrelevant ist der Lehrstoff auch: Gillig warnt eindringlich davor, im Lokal arglos „une bier“ zu bestellen und „Bier“ dabei wie im Deutschen auszusprechen: Man erhält Byrrh, einen Apéritif.
Franzosen sehen die Dinge oft anders als Deutsche – und manchmal richtiger: eine Großnichte ist eine „petite nièce“, eine „kleine Nichte“, was den Sachverhalt ja eher trifft. Etienne Gillig liebt das Spiel mit Worten – virtuos jongliert er in einem Brief an die Steuerbehörde mit den Begriffspaaren Einkünfte-Auskünfte und Einnahmen-Ausnahmen.
Von Charlemagne bis Gerd Schröder
Geschichte unterrichtet er auch. Die Schüler erfahren von der alten Verbundenheit von Deutschen und Franzosen, angefangen bei Charlemagne, alias Karl dem Großen, von Aristide Briand und Gustav Stresemann, den Außenministern der 1920er Jahre, von Jacques Chirac und Gerhard Schröder. Doch schon geht es weiter zum Fach Musik, das Gillig besonders liebt. Die Schüler singen, aufgeteilt in zwei Gruppen, den Kanon schlechthin – die einen „Bruder Jakob“, die andere „Frére Jacques“.
Es folgt die Schulausfahrt. Wohin? Nach Paris natürlich . Etienne Gillig schlendert über die Champs Elysées, singt und wechselt dazu die Hüte – mal trägt er blau, mal weiß, mal rot. Er weiß, was „Ein Freund, ein guter Freund“ bedeutet, und illustriert, wie gut das Verhältnis seiner beiden Länder ist, indem er die Marseillaise auf dem Klavier mit dem auf dem Cello intonierten Deutschlandlied – dritte Strophe, versteht sich! – kombiniert.
Wahlfranzösin Marlene Dietrich
Begonnen hat der Abend mit Jacques Offenbach, dem französischen Komponisten mit den rheinländischen Wurzeln; er endet mit Marlene Dietrich, einer anderen deutschen Wahlfranzösin. Das Publikum zeigt sich zum guten Schluss von Kopf bis Fuß auf Begeisterung eingestellt, hätte dem Unterricht noch ewig folgen können und bedankt sich mit lange anhaltendem Applaus. C’était vraiment bon!