Eines der Rotorblätter liegt bei Parchim in Mecklenburg-Vorpommern vor der Windkraftanlage – im Streit um die Reform der Energiewende haben die Länder geplante Einschnitte bei der Windenergie abgeschwächt. Foto: dpa

Beim Energiegipfel im Kanzleramt haben sich die Bundesländer in vielen Punkten durchgesetzt. Der Kompromiss könnte teuer werden – Fragen und Antworten.

Beim Energiegipfel im Kanzleramt haben sich die Bundesländer in vielen Punkten durchgesetzt. Der Kompromiss könnte teuer werden – Fragen und Antworten.

Berlin/Stuttgart - Die Reform der milliardenschweren Ökoförderung steht. Was wurde beschlossen?
Der seit Monaten herrschende Streit um die Neufassung der Energiewende scheint zunächst entschärft. Beim Energiegipfel im Kanzleramt hat die Bundesregierung in der Nacht zum Mittwoch die Länder mit ins Boot geholt – indem sie viele ihrer Wünsche erfüllt hat. Die Nord-Länder können sich über bessere Bedingungen für die Förderung großer Küstenwindräder freuen. Die Anlagen werden nun deutlich länger mit hohen Beträgen gefördert. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sprach von einem „guten Tag für die Windenergie“. Fünf von sechs ihm wichtigen Punkten seien erfüllt worden. Ähnlich klang es anderswo.
Was ist mit dem Südwesten?
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, er sei mit den Beschlüssen „weitgehend zufrieden“. Zumal die Windleistung in Deutschland nun schneller steigen soll als zunächst geplant. Konkret wurde beschlossen, den Neubau geförderter Anlagen zwar auf 2500 Megawatt Leistung pro Jahr zu deckeln, den Austausch älterer durch leistungsstarke Anlagen aber außen vor zu lassen – ein Extra-Ausbau durch die Hintertür also.
Was geschieht mit den umstrittenen Industrie-Rabatten auf Ökostrom?
Rund 2100 Unternehmen profitieren bisher von Ökostromrabatten. Jährlich sparen sie so mindestens 5,1 Milliarden Euro. Auch weiterhin wird ein Gutteil dieser Unternehmen in den Genuss der Vergünstigungen kommen. Besonders Industrieländer wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg machten hier Druck, weil sie durch steigende Energiepreise für die Firmen Arbeitsplätze in Gefahr sahen. Für einige Hundert Firmen sind die Rabatte aber nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums passé. Sie werden die Förderbedingungen nicht mehr erfüllen. Das ist ein Zugeständnis an die Europäische Kommission. Diese macht gerade Druck, die Vergünstigungen zurückzufahren, weil sie sie für wettbewerbsverzerrend hält.
Selbst Strom erzeugen – lohnt das noch?
Besonders Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren in großem Stil eigene Kraftwerke zugelegt. Der Grund: Auf den dort erzeugten Strom mussten nur geringe Ökostromaufschläge bezahlt werden. Dieser Entsolidarisierung sollte eigentlich ein Riegel vorgeschoben werden. Das geschieht nun nicht. Einen geplanten „Energie-Soli“ in Höhe von 1,2 Cent je Kilowattstunde für die Eigenstromerzeuger wird es nur für ganz wenige Firmen geben. Anders sieht es bei privaten Haushalten oder Supermärkten mit Solarmodulen auf dem Dach aus. Bei größeren Anlagen sollen hier 4,4 Cent je Kilowattstunde fällig sein. Die Solarlobby läuft dagegen Sturm.
Was kosten die Pläne den Verbraucher?
Da viele Details noch nicht feststehen, sind exakte Rechnungen schwer. Fest steht aber: Es wird teurer. Verbraucherschützer rechnen derzeit mit zusätzlichen Stromkosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Zu den gut 200 Euro pro Jahr, die eine Durchschnittsfamilie derzeit für den Umstieg Deutschlands auf Ökoenergie bezahlt, kämen „noch einmal 14 Euro mehr pro Jahr hinzu“, sagte der Energieexperte des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (VZBV), Niels Schnoor. Das Ziel von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die EEG-Umlage bei 6,24 Cent je Kilowattstunde Strom stabil zu halten, wird daher schwer zu erreichen sein. „Die Novelle des Gesetzes wurde doch damit begründet, dass man die Preise senken wollte. Und jetzt passiert das Gegenteil“, sagt etwa Bärbel Höhn, grüne Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Verantwortlich dafür seien etwa die weiter bestehenden Rabatte der Industrie.
Ist die jetzige Einigung ein Befreiungsschlag oder ein fauler Kompromiss?
Weder das eine noch das andere. Nach diversen Energiegipfeln ist es erstmals gelungen, einen weitgehenden Konsens zwischen Bund und Ländern bei Energiewendefragen herzustellen. Der Preis ist allerdings hoch, weil viele teure Einzelinteressen berücksichtigt wurden. Die für Bayern wichtige Biogasförderung, deren Relevanz für das Gesamtprojekt hochumstritten ist, wird weitergeführt. Auch die teure Offshore-Windkraft ist wieder im Rennen. Sie stellt übrigens den einzigen Bereich der Energiewende dar, in dem nur Konzerne wie Eon, EnBW oder Siemens das Sagen haben.
Wurden wichtige Dinge aufgeschoben?
Viele sehr wichtige Punkte waren nicht Bestandteil der Verhandlungen im Kanzleramt. So ist beispielsweise unklar, wie genau der Ausbau der Stromnetze mit dem Ausbau der Ökoenergien koordiniert werden soll. Während Ökostrom boomt, kommt der Bau neuer Trassen fast nicht voran. Auch die für Süddeutschland sehr wichtige Frage der Energiesicherheit wurde nicht behandelt. Da sich der Bau von modernen Gaskraftwerken nicht lohnt und alte Meiler aus Kostengründen von den Energiekonzernen vom Netz genommen werden sollen, könnte Strom in Süddeutschland knapp werden. Daher stehen nun zusätzliche Subventionen im Raum. „Die Diskussion über neue konventionelle Kraftwerksreserven werden wir als Nächstes bekommen“, sagt der Mannheimer Umwelt- und Ressourcenökonom Andreas Löschel. „Da wird ein großer Kostenblock auf uns zukommen.“
Wieso gibt es überhaupt Reformbedarf?
Die Energiewende ist ein Megaprojekt, das oft auf Ökostrom verengt wird. Dieser verursacht im Moment die höchsten Kosten – fast 23 Milliarden Euro pro Jahr – und erhält daher die größte Aufmerksamkeit. Die übergeordneten Klimaziele der Bundesregierung werden allein mit Ökostrom aber nicht zu erreichen sein. Hinzu muss etwa eine nachhaltige Mobilität treten. Eine Million Elektro-Autos will die Bundesregierung bis 2020 auf die Straße bringen. Außerdem sollen Industrie, Verkehr und Privathaushalte viel effizienter als bisher mit Energie umgehen. Durch bessere Produkte sollen 20 Prozent Energie bis 2020 gespart werden. Überdies soll Wärme eingespart werden, etwa durch bessere Dämmungen und die Nutzung von Abwärme. Das Problem: In allen genannten Bereichen hapert es. Die Million E-Autos halten Experten für illusorisch, die Dämmungsquote bei Häusern ist halb so hoch wie nötig, und die Anstrengungen der Industrie, bessere Verfahren einzusetzen, sind zu gering.