In Zeiten des Krieges in Osteuropa Werke eines lettischen Komponisten aufzuführen, berührt: Mit dem Konzert zur Sterbestunde Jesu ist der Kantorei der Martinskirche, dem Schwarzwald Kammerorchester und den Solisten ein Geniestreich gelungen.
„Aus der Tiefen rufe ich, Herr zu dir.“ Wie viele, deren Leben der Krieg in Stücke reißt, während die Besucher der Martinskirche in Frieden der Aufführung zur Sterbestunde Jesu lauschen, haben wohl genau das gedacht am Karfreitag?
Steffen Mark Schwarz, Kantor der evangelischen Kirchengemeinde und Gesamtleiter des ergreifenden Nachmittags, hat einmal mehr eine sichere Hand bei der Auswahl der Stücke für diese sensible Stunde der Kirchenmusik bewiesen: Sie beginnt mit dem gleichnamigen Werk von Johann Sebastian Bach, und das lebt vom reizvollen Zusammenspiel der Kantorei der Martinskirche und der vier Gesangssolisten, die nicht weniger ein Glücksgriff des Dirigenten waren: Bass Hannes Nedele und Sopranistin Karera Fujita, Stimmbildnerin des Chores, schmiegen sich stimmlich gleichsam wie Schatten an – ebenso wie Tenor Robin Neck und Altistin Jasmin Hofmann, bei ihren Soli nur begleitet von Contrabass und Cello – für die Ohren fühlt es sich an wie ein warmes Bad.
Die Musiker kolorieren das Werk
Das schön auskolorierte Werk mit lebhafter Melodie tragen die Musikerinnen und Musiker des Schwarzwald Kammerorchesters und Organist Gregor Engelhardt mit mal dezenten, fast meditativen Klängen, um die herrlichen Singstimmen glänzen zu lassen, mal mit selbstbewusstem Spiel.
Das Flehen, das die Sterbestunde Jesu kennzeichnet, kommt mit der Arie „Erbarme dich, mein Gott“ aus Bachs Matthäus-Passion, noch stärker zur Geltung, gehört sie doch zu den bewegendsten musikalischen Bittgesängen der Musikgeschichte, wie aus dem informativen Programmheft hervorgeht. Sie zu krönen gelingt Konzertmeisterin Gesa Jenne-Dönneweg mit ihrem herausragend ausdrucksstarken Violinspielt und Jasmin Hofmann mit ihrer Alt-Stimme, für deren Einsatz ihr das Stück langen Atem abverlangt – selbst die anspruchvollsten Passagen meistert sie spielend.
Höhepunkte der Aufführung sind dennoch zwei moderne Werke. Nicht nur, weil Pēteris Vasks, Jahrgang 1946, zu unrecht nicht zum Standardprogramm mitteleuropäischer Aufführungen gehört, sondern weil die Kompositionen „Pater noster“ und „Dona nobis pacem“ von ergreifender Schönheit und hoher Aktualität sind.
Heiße Schokolade mit einer bitteren Note
Rollen beim „Vater unser“ sanfte Töne wie die Wellen der Ostsee unter dunkelgrauen Wolken heran, hat das zweite Werk den Geschmack heißer, dunkler Schokolade – mit einer bitteren Note.
Die Geigen singen in Moll
Cello und Contrabass malen die dunklen Schatten zu den in Moll singenden Geigen, während Chor und Solisten polyphon flehen „Gib uns Frieden“. Wer da keine Gänsehaut bekommt, hat ein Herz aus diesem Zeug, aus dem Football-Helme gemacht werden. Den Höhepunkt arbeiten Dirigent und Akteure mit dramatischem Crescendo fein heraus, und danach sind es wenige Männerstimmen, die flehen: leiser, sachter, als hätte die Leere die Inbrunst erstickt.
Am Ende verlässt Gott die Zuversichtlichen nicht
Doch es ist Hoffnung, mit der die Aufführung ausklingt: Mit Bachs Kantate „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ kommen helle Töne in den Nachmittag – und die Rezitative geben den Gesangssolisten noch einmal Gelegenheit, ihre ganze Klasse auszuspielen: Mit großartigen Stimmen füllen Fujita, Hofmann, Neck und Nedele die größte Kirche Ebingens bis in den hintersten Winkel – und die Aufführung hätte es verdient gehabt, wenn das Gotteshaus auch bis dorthin besetzt gewesen wäre.
Die 250 Zuhörer, die mit anhaltendem Beifall für eine Sternstunde zur Sterbestunde gedankt haben, gehen mit einer tröstenden Gewissheit: „Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“ Die Wahl der Werke war Teil des Gesamtkunstwerks.