Die vorgefertigten Fertighausteile sind auf der Baustelle schnell zusammengesetzt – damit sind auch die Unfallrisiken geringer als beim klassischen Hausbau, meinen die Unternehmen. Foto: dpa-tmn

70 Fertigbau-Unternehmen stehen im Clinch um radikal erhöhte Unfallversicherungsbeiträge mit der Berufsgenossenschaft Bau. Unterstützung erhalten sie von prominenter Stelle.

Die Fertigbauunternehmen sehen sich voll im Sog der Wohnungsbaumisere – da bringt sie ein Großkonflikt mit der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) umso mehr auf die Palme. Weil sich industrielle Fertigbau- und Holzbauunternehmen gegen hohe Beitragssteigerungen wehren, rollt eine Klagewelle durch die Republik. Der BG Bau wird vorgeworfen, in der Baukrise gerade die Unternehmen auszubremsen, die schnell und kostengünstiger Wohnraum schaffen können.

 

Um was geht es in dem Konflikt? Im Zentrum steht der seit Januar 2024 geltende „vierte Gefahrtarif“: Darin stuft die BG Bau als gesetzliche Unfallversicherung die Holzfertigbaubetriebe in die gleiche Tarifstelle ein wie handwerkliche Zimmereibetriebe oder Dachdecker, obwohl die Fertigbauer ihren Angaben zufolge aufgrund der industriellen Bauweise deutlich geringere Werte in den Unfallstatistiken vorweisen.

„Seit Januar 2024 haben wir es mit explodierenden Beiträgen zur Unfallversicherung – teils mit einer Verdopplung – zu tun“, kritisiert Mathias Schäfer, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Fertigbau und Geschäftsführer von Fingerhaus (Frankenberg). Für jeden gewerblichen Mitarbeiter falle eine Steigerung von etwa 1000 Euro pro Jahr an.

Bundesweit gebe es an die 12 000 Zimmereibetriebe gegenüber etwa 200 Unternehmen, die im Bereich Fertigteilbau oder Holzfertigteilbau bei den Gefahrtarifen eingestuft seien. Hier nehme die BG Bau eine Umverteilung „zulasten unserer Branche“ vor, „um das Gesamtsystem zu stabilisieren“. Allerdings lägen zwischen beiden Bereichen Welten: „Wenn bei uns ein Mitarbeiter in der Werkhalle stolpert, fällt er auf eine gelenkschonende Laufmatte“, nennt Schäfer ein Beispiel. „Wenn ein Zimmerer auf dem Dachstuhl zu Fall kommt, zieht er sich mitunter schwerste Verletzungen zu.“

Wie läuft der juristische Konflikt? Bundesweit haben die Fertigbauunternehmen – unter ihnen Größen wie Weber Haus – mit ihren Klagen gut 70 Verfahren vor Sozialgerichten angestoßen, „die sich mit der gleichen Materie auseinandersetzen müssen“, so Schäfer – eine Arbeit, die längst durch die BG Bau oder vor der Genehmigung des Gefahrtarifs durch das Bundesamt für Soziale Sicherung hätte gemacht werden müssen.

Das Sozialgericht Würzburg hat bereits drei Klagen stattgegeben – in Konstanz wurde eine Klage abgewiesen. An diesem Mittwoch stehen am Sozialgericht Freiburg vier eventuell wegweisende Verfahren an; im November ist in Reutlingen ein Urteil über die Klage der Firma Schwörer Haus (Oberstetten) zu erwarten. Der jeweilige Weg durch die Instanzen bis zum Bundessozialgericht kann weitere Jahre dauern.

Was ist so besonders am Rechtsstreit? Die Interessengemeinschaft der Fertigbauer hat die Meinung einer mittlerweile sehr prominenten Juristin eingeholt: von Frauke Brosius-Gersdorf, die mit der Nominierung durch die SPD für das Bundesverfassungsgericht an der Gegenwehr rechter Kreise gescheitert ist. Die Professorin für öffentliches Recht in Potsdam mit seltener Expertise auf dem Feld des Sozialrechts hat in einem Gutachten klar festgestellt, dass die Einstufung durch die BG Bau rechtswidrig sei.

Bewusst habe man sich im Frühjahr 2023 für ein unabhängiges Gutachten entschieden. Brosius-Gersdorf habe sehr früh signalisiert, dass sie den neuen Gefahrtarif allein anhand der geltenden Rechtsprechung bewerten und kein Gefälligkeitsgutachten schreiben werde. Wäre sie zu einer abweichenden Einschätzung gekommen, „dann wäre die Sache erledigt gewesen“, so Schäfer.

Wie ist die Wirtschaftslage der Branche? Johannes Schwörer, Präsident der IHK Reutlingen und Gesellschafter von Schwörerhaus, rechnet vor, dass sein Unternehmen nach 1,7 Millionen Euro an Sozialbeiträgen im Jahr 2023 ein Jahr später 3,1 Millionen Euro zahlen musste – dies sei eine „hohe Belastung in dieser wirtschaftlichen Lage“. Viele mittelständische Betriebe seien im „schwierigen Fahrwasser“. Die Zahl der Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser sei 2024 auf bundesweit 44 300 abgestürzt. Daran hat die Fertigbaubranche einen Anteil von etwa 26 Prozent (11 540), jedoch mit leicht steigender Tendenz. Die Spitzenwerte betrugen 2021 rund 110 000 Genehmigungen insgesamt und 25 450 im Fertigbau.

Aktuell deutet sich ein Anstieg von etwa zehn Prozent auf knapp 50 000 Baugenehmigungen bis Ende 2025 an. Dennoch hätten einige der etwa 100 Fertigbauer im Südwesten mit Unterauslastung zu kämpfen – weitere Anbieter müssten mutmaßlich aufgeben. „In einer Zeit so brutaler Veränderungen werden gnadenlos Beitragserhöhungen durchgedrückt“, rügt Schwörer die BG Bau.

Wie reagiert die BG Bau auf die Vorwürfe? Die BG Bau trage mit dem vierten Gefahrtarif den Entwicklungen in den Branchen Rechnung, heißt es von dort. Die Tätigkeit der Unternehmen sowie deren Unfallgeschehen habe sich derart entwickelt, dass eine von den klassischen Hochbauunternehmen und Zimmereiunternehmen abweichende Zuordnung nicht mehr gerechtfertigt sei.

Die Neuregelung betreffe lediglich ca. 400 Unternehmen, nicht jedes habe der Neuzuordnung widersprochen. Demgegenüber stünden 115 000 klassische Hochbauunternehmen und 18 000 klassische Zimmereien, deren Gefahrklasse gleichgeblieben sei. Zum Januar 2024 seien 580 000 Veranlagungsbescheide versandt worden – gemessen daran und an der Zahl der Klageverfahren könne von einer Klagewelle keine Rede sein.

Die von der Gegenseite genannten Mehrkosten von 100 Millionen Euro über fünf Jahre beruhten „auf unbelegten Annahmen“, was ein „irreführendes Bild der tatsächlichen Kosten“ vermittle. „Die BG Bau rechnet nicht mit einer Verdopplung der Beiträge für Hersteller von Fertigteilen“, heißt es.

Der jeweils neue Gefahrtarif sei mit den Sozialpartnern der Bauwirtschaft abgestimmt worden. „Trotz teilweise massiver Intervention einiger Verbände des Fertigbaus“ habe das Bundesamt für Soziale Sicherung keine Hinderungsgründe gesehen.

Bereits vor dem 1. Januar 2024 seien Unternehmen, die Fertigteile aus Holz individuell herstellen oder Montagearbeiten auf Baustellen betrieben, zusammen mit klassischen Hochbauunternehmen oder Zimmereiunternehmen veranlagt worden. Mit dem geänderten Gefahrtarif „wurde dies lediglich auf solche Unternehmen ausgeweitet, bei denen die BG Bau bisher von Besonderheiten aufgrund eines sehr hohen Automatisierungsgrads ausgegangen ist“. Sie seien trotz der Bewertung als Zimmererunternehmen zunächst gemeinsam mit den entsprechend behandelten Herstellern von Betonfertigteilen einer eigenen Tarifstelle zugeordnet und später mit dem Bauausbau in einer Tarifstelle zusammengefasst worden.