Die Farben des Malers Miró dominieren bei Flamencos en route. Foto: Alex Spichale/Theaterhaus

Die Tanzkompanie Flamencos en route gastiert mit einer Hommage an den Maler Joan Miró im Stuttgarter Theaterhaus. Die Produktion verblüfft mit jazzigen Klavierklängen und politisch aktuellen Anspielungen.

Luzern - So leise beginnt eine Aufführung: In die Stille hinein werden wenige Striche an die Bühnenrückwand im Kultur- und Konzertzentrum Luzern projiziert. Dann folgen Geräusche von Wassertropfen aus dem Off, während eine Frau eine Telefonverbindung zum Künstler Joan Miró herzustellen versucht – mit einem signalroten Lackschuh am Ohr.

Es sind die Reduziertheit und Konzentration der künstlerischen Mittel, die den Einstieg in die aktuelle Inszenierung der Tanzkompanie Flamencos en route verführerisch leicht machen. Keine Herausforderung, sondern eine Einladung ans Publikum, sich auf „à Miró“ einzulassen. Es ist bereits die zweite Produktion einer Reihe, in der sich die Choreografin und Kompanieleiterin Brigitta Luisa Merki mit spanischen Malern auseinandersetzt. Eröffnet hat den malerischen Tanzzyklus 2015 die Choreografie „Ritual & Secreto“. Damals ließ sich Merki von den Frauenbildern des Barockmalers Francisco Zurbarán inspirieren. Wie die Hommage an Zurbarán wird auch „ à Miró“ nun zu Beginn des Jahres für mehrere Vorstellungen im Stuttgarter Theaterhaus gastieren.

Bildzitate werden zu Tanz

Doch zuvor war das Stück schon in der Schweiz zu erleben. Und dass „à Miró“ gleich zu Beginn sehr viel amouröser über die Bühne kommt, liegt auch an der abstrakten Bildpoesie des Malers. Brigitta Luisa Merki, Leiterin der von ihr vor 31 Jahren gegründeten Schweizer Kompanie, ließ sich von Mirós Malereibuch „A toute épreuve“ inspirieren. Der Katalane hatte 1928 Gedichte des Autors Paul Eluard illustriert. Merkis zweite Quelle war Mirós Zyklus „Danseuses espagnoles“, ins Abstrakte übersetzte Frauenfigurinen, Vögel, Monde, Schmetterlinge. „Mit dem spanischen Tanzschuh in der Hand ergaben sich neue Vokabeln des tänzerischen Wortschatzes, die sich an den reduzierten und vieldeutigen Bildzeichen von Miró inspirierten“, erklärt Brigitta Luisa Merki die Perspektive der Flamenca.

Bildzitate, geschwungene Linien etwa, die auf die Bühnenrückwand projiziert werden, übertragen die Tänzer mit geschlossenen Fächern wie mit dem Pinsel auf das Tableau und später auf die Körper der Tänzerinnen. Die Farben der Kostüme sind der Palette Mirós entliehen. In französischer Sprache wird aus seinen Gedichten und seiner Kunst zitiert. Seltener als in einer eher traditionellen Flamenco-Produktion üblich knallen hier die Absatzgewitter, die Gesten sind zärtlicher. Der Geschlechterkampf scheint einer verliebten Verspieltheit gewichen.

Zum ersten Mal mit Klaviermusik

Wie erleben die Akteure selbst den französischen Einfluss auf die von allen gemeinsam entwickelte Produktion? „Er hat das Vokabular des Flamenco bereichert, ich habe andere Bewegungen erfunden“, sagt die Tänzerin Carmen Iglesias. Ihr Kollege Javier Sanchez sagt: „Ich habe von traditionellem Flamenco bis zum zeitgenössischen Tanz alles studiert. Aber dass französische Einflüsse so stark eine Flamenco-Produktion beeinflussen, das ist neu und hat mich als Tänzer sehr inspiriert.“ Und Brigitta Luisa Merki ergänzt: „Mit einer traditionellen Sevillana begann alles. Deren rhythmische Struktur und die unterschiedlichen Gesänge waren der Ausgangspunkt im Entwicklungsprozess.“ Später habe sie moderne Klavierkompositionen von Antonio Robledo hinzugefügt. „So kam zum ersten Mal ein Klavier in eine unserer Flamencoproduktionen“.

Beklagt wird die Unfreiheit der Frauen

Dass in „à Miró“ die Pianistin Isora Castilla einen bisher ungewohnten, oft auch jazzig eingefärbten Part mit Perkussion, Gitarren und traditionellem Gesang übernimmt, erweist sich als stimmige Idee. Immer wieder geht Brigitta Luisa Merki ungewohnte Wege in der Musikalität ihrer Kreationen. So bezieht sie eine nordische Nyckelharpa ins tonale Geflecht, dann begeistert die algerische Sängerin Karima Nayt das Publikum mit ihren orientalischen Melismen. Sie ist es auch, die Auszüge aus Mirós Bildtiteln und seiner Poesie zu eigene Kompositionen verdichtete und die politische Aktualität in die Produktion bringt. Im Chanson „Sans dignité – Ohne Würde“, der im Arabischen Frühling in Ägypten verfasst wurde, beklagt sie die Unfreiheit von Frauen: „Sie haben ihre Tradition gegen die amerikanische Kultur getauscht, wo blieb ihre Freiheit?“, fragt Karina Nayt.

Jeder der Akteure von Flamencos en route ist in „à Miró“ ein vom Publikum stürmisch gefeierter Solist, bis das Ensemble die Hommage an den Katalanen Joan Miró in ein furioses Finale überführt. Das Publikum in Luzern ist begeistert, will mehr und ruft: „Zugabe“. Ein Triumph des Tanzes im Verbund mit der Kunst.

Die Hommage an Joan Miró ist vom 4. bis zum 14. Januar im Theaterhaus zu sehen.