Anlass für Satire bietet sie jedenfalls: Die Große Koalition, hier in Szene gesetzt beim Düsseldorfer Karneval im vergangenen Jahr. Foto: dpa

Auch in bei Schwarz-Rot entscheidet am Ende Angela Merkel, was auf den Koalitionsteller kommt. Und was davon gegessen wird. Oft ist es Magerkost, meint Wolfgang Molitor.

Auch in bei Schwarz-Rot entscheidet am Ende Angela Merkel, was auf den Koalitionsteller kommt. Und was davon gegessen wird. Oft ist es Magerkost, meint Wolfgang Molitor.

Stuttgart - Angela Merkel telefoniert mit Wladimir Putin. Es geht um die Krim, um den schwierigen Versuch, eine neue Spaltung Europas zu vermeiden. Außenpolitische Krisenzeiten sind Kanzlerzeiten. Auch wenn einer wie Frank-Walter Steinmeier mit seriöser Grauhaarigkeit auf der Liste der populärsten deutschen Politiker endlich wieder den Außenminister-Bonus zurückerobert hat. Wenn die Bundesregierung an diesem Mittwoch in Schwarz und Rot ihre ersten 100 Tage hinter sich gebracht hat, ist deshalb alles, wie man es zu Beginn erahnt hat: Die Rollen in dieser Koalition, die man nur rein rechnerisch eine große nennen darf, sind klar verteilt. Mag sich jeder Rote (mehr) und Schwarze (weniger) auch auf seinem ureigenen Gebiet rege tummeln: Am Ende entscheidet Angela Merkel, was auf den Koalitionsteller kommt. Und was davon gegessen wird.

 

Oft ist es Magerkost. „Es ist noch Luft nach oben“, sagt die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner. Schwarz-Rot müsse den richtigen Tritt noch finden. Das kann man so sehen. Denn so manches wirkt arg durcheinander. Wie die Summe von netten Zufälligkeiten und flockigem Vorpreschen. Jeder für sich statt alle für einen. Wie sollte es auch anders sein in einem Bündnis, das endlos lange verhandeln musste, um sich in das Selbstverständliche zu fügen? In dem die SPD erst ziemlich gequält, dann aber mit wachsender Begeisterung ihre Mitglieder befragen musste, um sich einen basisdemokratisch-roten Blankoscheck ausstellen zu lassen, um am Kabinettstisch neben Merkel Platz nehmen zu können?

Kein Wunder, dass sich vor allem die Sozialdemokraten aufgerufen fühlen, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Man verstehe sich als Motor dieser Koalition, wird SPD-Chef, Vizekanzler, Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel nicht müde zu behaupten. Dass es dabei manchmal im roten Getriebe knirscht – was soll’s. Da will Gabriel mit seinem reformierten Ökostromgesetz einerseits vor allem die Industrie statt den Privatverbraucher schonen, ist aber andererseits bereit, über die Überarbeitung erst vor kurzem festgelegter Eckpunkte nachzudenken. Im Gegenzug halst seine Parteifreundin Andrea Nahles, ihrerseits Arbeitsministerin, der Wirtschaft neue Lasten auf, um den Arbeitnehmern mit der Einführung des Mindestlohns Gutes zu tun. Da fummelt Familienministerin Manuela Schwesig voreilig einen Elterngeld-plus-Plan aus der Rocktasche, und Justizminister Heiko Maas entdeckt ohne koalitionäre Rückendeckung die Mietpreisbremse. Fleißig tun alle. Doch ob was geht, weiß keiner.

Klein-Klein auch an anderen Fronten. Zwar könnte es dieser Bundesregierung erstmals nach 45 Jahren wieder gelingen, einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen. Doch wie passt das zu dem Beschluss, zugleich die Rentenkasse zu plündern und vor allem jüngere Beitragszahler zur Ader zu lassen? Oder Hunderttausende trotz der erkannten demografischen Probleme ohne Not in den Vorruhestand zu locken? Der unterschiedlichen Vorstöße sind viele, doch eine gemeinsame Botschaft fehlt.

Schwarz-Rot macht es sich bequem. Richtet sich ein. Eine starke Opposition fehlt. Stabile Umfragen sorgen weder für Unruhe noch Euphorie. Die Ministerriege bleibt eine graue Masse, in der selbst ein veritabler Blitz-Rücktritt oder die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums nur gelegentlich für größeres Interesse sorgen. Von Aufbruch und Reform-Mut keine Spur. Stattdessen 100 Tage neugierig-respektvolles Beschnuppern. 100 Tage konfliktscheues Miteinander. Und Merkel telefoniert mit Putin.

w.molitor@stn.zgs.de