Ganz anders als Seehofer: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: dpa

Im Gegensatz zu Bayern tritt Baden-Württemberg in der Bundespolitik relativ bescheiden auf, findet Landesnachrichten-Chef Jan Sellner.

Im Gegensatz zu Bayern tritt Baden-Württemberg in der Bundespolitik relativ bescheiden auf, findet Landesnachrichten-Chef Jan Sellner.

 

Die Bayern haben Horst Seehofer. Einen lauten Mann, dem seine stattliche Wählerschaft manches nachsieht, solange er den Freistaat möglichst kraftvoll repräsentiert – speziell in der Auseinandersetzung mit „Preißn“ jeder Couleur. In den Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD hatte der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident auf der Pkw-Maut bestanden – und sich durchgesetzt. Den anderen sind seine Wünsche zwar nicht Befehl, doch man kann sie schwerlich ignorieren, weil er immer gleich die Muskeln spielen lässt. Was am Ende daraus wird, steht übrigens auf einem anderen Papier. Es reicht nämlich nicht, die Hosen anzuhaben. Sie müssen auch passen. Bezogen auf die Pkw-Maut heißt das: Ob das bayerische Modell je eingeführt wird, ist fraglich; der Aufwand spricht dagegen.

Die Badener und Württemberger haben Winfried Kretschmann. Einen Regierungschef, der mit Seehofer gut kann, in vielem jedoch dessen Gegenentwurf ist. Wo dieser Dinge durchsetzt, wägt jener sie ab. Exemplarisch dafür ist die Haltung zum Länderfinanzausgleich. Während Bayern und Hessen das Bundesverfassungsgericht bemühen, sucht Baden-Württemberg den Konsens mit den Nehmerländern. Kretschmanns Argument ist sogar nachvollziehbar, weil eine Neuregelung der Finanzbeziehungen am Ende doch wieder Verhandlungen erfordert. Dennoch herrscht der Eindruck vor, die Landesregierung trete regelmäßig einen Schritt zurück – sogar im Erfolgsfall: Die Vereinbarung einer ergebnisoffenen Suche nach einem Atommüllendlager oder Kretschmanns Beitrag zur Energiewende – zwei wichtige Impulse aus dem Land – werden als solche nicht mehr wahrgenommen. Kaum hat man politisches Gewicht gewonnen, setzt man sich auf Diät.

An Aufmerksamkeit für Baden-Württemberg und seine Vertreter fehlt es im Grunde nicht. Die Rolle des ersten grünen Ministerpräsidenten der Welt würden andere in Form von Dauerpräsenz interpretieren. Kretschmann scheint das eher unangenehm zu sein. Dass leise jedoch nicht immer weise bedeutet, zeigte sich im grünen Bundestagswahlkampf. Kretschmanns zarte Kritik am Steuererhöhungsprogramm seiner Partei verhallte. Nach der Wahlschlappe gaben erneut Trittin & Co den Ton an und verhinderten die von Kretschmann favorisierte Annäherung an die Union. Jetzt bleibt ihm nur, gegen die Rentenpläne der Großen Koalition zu wettern. Auf Schwäbisch gesagt: Er kommt hinterher wie die alt Fasnet.

Es macht die Sache nicht leichter, dass dem Land erneut Anspielstationen in der Bundesregierung fehlen. Einziger Baden-Württemberger im Rang eines Bundesministers ist Wolfgang Schäuble. Zwar haben die hiesigen Christdemokraten wesentlich zum Wahlsieg von Kanzlerin Angela Merkel beigetragen, in der Großen Koalition stehen der CDU aber nur fünf Ministerposten zu. Sechs besetzen die Sozialdemokraten – allerdings kommt keiner ihrer Minister aus dem Südwesten, was angesichts des fehlenden Einflusses der Landes-SPD nicht verwundert. „Insofern sind die Voraussetzungen dafür, die Interessen Baden-Württembergs im Bund zu vertreten, seit dem Regierungswechsel nicht besonders gut“, stellt der Politikwissenschaftler Oscar Gabriel fest.

In der Tat, sie waren schon mal besser. Unter den neuen Vorzeichen muss die Landesregierung deshalb für die Interessen des wirtschaftsstarken Südwestens kräftig trommeln. Etwas mehr Seehofer, etwas weniger Bescheidenheit ist angezeigt. Allerdings reicht die Tradition der leisen Politik lange zurück. Mit der Frage, ob der baden-württembergische Ministerpräsident sich in Berlin auch genügend Gehör verschafft, waren vor Kretschmann schon Stefan Mappus, Günther Oettinger und Erwin Teufel konfrontiert. Anders als in Bayern lautete die Antwort selten „ja“.