Auf das Rentenpaket von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), können sich ältere Mütter, langjährige Beitragszahler und Frührentner freuen Foto: dpa

Die kalte, mitunter in Häme umschlagende Arroganz, mit der beide ihre Rentenpläne gegen die Warnungen breitester Fachkreise durchgepeitscht haben – sie wird lange in Erinnerung bleiben, meint unser Kommentator Willi Reiners.

Berlin - Spielt es noch eine Rolle, wie viele Abgeordnete der Union an diesem Freitag dem Rentenpaket der Großen Koalition ihre Zustimmung verweigern? Ein Dutzend oder sogar zwei? Nein, längst kommt es darauf nicht mehr an. Wie immer wird die Zahl der Abweichler, die sich nicht von der vereinbarten Flexi-Rente umstimmen lassen, genau registriert werden, am Ende aber bleibt sie eine Randnotiz. Und als solche wird sie den verheerenden Eindruck, den Schwarze und Rote hinterlassen, nicht in milderes Licht tauchen können. Die kalte, mitunter in Häme umschlagende Arroganz, mit der beide ihre Rentenpläne gegen die Warnungen breitester Fachkreise durchgepeitscht haben – sie wird lange in Erinnerung bleiben. 

Zum Für und Wider ist alles gesagt. Natürlich freut sich jeder über mehr Geld im Beutel. Natürlich ist das Müttern und langjährig Beschäftigten zu gönnen, die mit dafür gesorgt haben, dass das Rentensystem läuft. Trotzdem ist die Reform in vielerlei Hinsicht falsch und ungerecht. Das muss man sagen können, auch wenn man dafür als jemand angeprangert wird, der die Lebensleistung von Menschen verhöhnt. Aber diese Reform steht nun mal beispielhaft für den sozialpolitischen Irrsinn, der hierzulande grassiert. Wieder folgen Politiker dem Prinzip: Geld, was da ist, muss weg. Und was gerecht ist, bestimmen wir selbst. Ebendeshalb sendet das Gesetz verteilungspolitisch katastrophale Signale. Es begünstigt Menschen, die auf zusätzliche Hilfen gar nicht angewiesen sind, während es die wirklich Bedürftigen gar nicht erreicht. 

So kommt die Rente mit 63 für langjährig Versicherte vor allem Männern zugute, die ohnehin relativ hohe Rentenansprüche erwerben konnten. Frauen dagegen profitieren kaum von ihr. Viele von ihnen werden zudem von der Mütterrente wenig haben. Das teure Rentenpaket ist nämlich über höhere Beitragssätze zu finanzieren, was die jährliche Rentenanpassung dämpft. Der Zuschlag, den ältere Mütter erhalten, ist da schnell wieder aufgezehrt, wenn die Rente des Ehemanns als Haupteinkommen des Haushalts entsprechend weniger stark steigt. Mütter mit kleiner Rente wiederum, die nicht über den Partner abgesichert sind, müssen jeden zusätzlichen Cent auf die Grundsicherung anrechnen lassen. Auch ihnen wird vielfach nichts übrig bleiben. Und damit sind wir erst am Anfang der Liste neuer Ungerechtigkeiten, die dieses Gesetz schafft. 

Auch ordnungspolitisch ist das Rentenpaket eine Frechheit. Wenn schon, dann sind die Kosten für die Mütterrente aus Steuer- und nicht aus Beitragsmitteln zu finanzieren. Es ist nämlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Erziehungsleistungen zu honorieren. Entsprechend sind auch Personen heranzuziehen, die nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, wie Beamte und Selbstständige. Weil das unterbleibt, zahlen die heute jüngeren Versicherten die Zeche, und das gleich dreifach: Sie werden durch den langfristig höheren Beitragssatz stärker belastet und sind zudem von der Absenkung des Rentenniveaus stärker betroffen. Zugleich können sie einen wesentlichen Teil der vorgesehenen Leistungsausweitung bei der Rente mit 63 selbst nicht mehr in Anspruch nehmen. 

Mehr als 20 Jahre hatte es gedauert, die Rente dem demografischen Wandel anzupassen. Es war ein schmerzhafter Reformprozess, der Jungen und Alten viel abverlangte. Wo waren die jetzt verantwortlichen Politiker der Großen Koalition während all dieser Jahre? Auf einem anderen Planeten? Ohne Not kündigen sie den neuen Rentenkonsens und kehren zurück zu einer Rente nach Kassenlage. Das einen Skandal zu nennen ist noch eine gefährliche Untertreibung.

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