Kontrolle per Tablet im Fellbacher Zahnradwerk der Firma Wittenstein Foto: dpa

Die Politik will sich um die weitere Digitalisierung der Wirtschaft kümmern. Doch was sind dabei eigentlich ihre Aufgaben?, fragt sich unser Kommentator und Wirtschaftsredakteur Klaus Köster.

Stuttgart - Was ist eigentlich Industrie 4.0? Die Politik hat das Thema für sich entdeckt und versucht, es dem Bürger zu erklären. Hören wir mal bei Staatssekretär Georg Schütte vom Bundesbildungsministerium rein: „Es geht um horizontale und vertikale Integration in dynamischen Wertschöpfungsnetzwerken, um digitale Durchgängigkeit des Engineerings über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.“ Alles klar? Eine alternative Erklärung bietet Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Regierungserklärung. Es gehe darum, dass „zum Beispiel die Unternehmenssoftware automatisch nachbestellt, wenn die Rohstoffvorräte schwinden“. Darunter kann sich der Normalbürger sicher mehr vorstellen – nicht aber, warum dafür womöglich ein Teil seiner Steuergelder verwendet wird.

Dass für die Industrie im Land – vom Maschinenbau über die Elektrobranche bis zu den Autoherstellern – vieles davon abhängt, ob sie auf dem Weg in die digitale Wertschöpfung mithalten können, steht außer Frage. Nicht nur Privatkunden kaufen zunehmend über globale Plattformen wie Amazon und Ebay ein, sondern auch in der Wirtschaft breiten sich digitale Handelssysteme rasant aus, bei denen Käufer und Verkäufer in Echtzeit Preise, Lieferzeiten und verfügbare Mengen vergleichen können. Der Konkurrent ist einen Mausklick entfernt.

Für das einzelne Unternehmen bedeutet dies einen gewaltigen Spagat: Es muss bei der Produktion weiter die Vorteile großer Stückzahlen nutzen und gleichzeitig die Fertigung immer weiter auf den einzelnen Auftrag herunterbrechen – und das Ganze bitte zum weltweit besten Preis. In der Autoindustrie werden schon heute immer mehr unterschiedliche Modelle auf dem gleichen Band gefertigt, so dass sich Schwankungen der Nachfrage schnell und kostengünstig ausgleichen lassen. Über kurz oder lang wird in der Fabrik der Zukunft jedes Modell in jeder Reihenfolge gefertigt werden.

Neue Unternehmen sind wichtig für die Weiterentwicklung der Wirtschaft

Neue Unternehmen, die sich nicht am Bestehenden orientieren, können für die Weiterentwicklung der Wirtschaft sehr hilfreich sein, wie die USA vormachen, in deren offener Gründerkultur reihenweise digitale Weltmarktführer wie Google, Facebook, Apple und Microsoft entstanden sind. Gewiss, Baden-Württemberg hat einen starken Mittelstand, doch bei der Gründung neuer Unternehmen, die von Grund auf neue digitale Technologien und Geschäftsmodelle entwickeln, hat das Land Luft nach oben.

Niemand weiß, wie viele Ideen hierzulande in der Schublade versauern, weil es die Gründer nicht schaffen, sich die nötige Anschubfinanzierung zu verschaffen. Der klassische Bankkredit mit seinen festen Rückzahlungskonditionen ist dafür nicht das passende Vehikel. Was Gründer benötigen, ist Eigenkapital, das Verluste mitträgt und bei Erfolgen reichlich verzinst wird. Doch Geldgeber halten sich zurück, obwohl es auf dem risikolosen Tagesgeldkonto nur noch Mickerzinsen gibt.

Es wäre bereits viel geholfen, wenn etwa im Steuerrecht Hürden für die private Finanzierung von Firmengründungen beseitigt würden. Es kann nicht sein, dass Erträge aus risikobehafteten Investitionen etwa in Start-up-Unternehmen versteuert werden müssen, Verluste aber nur unter engen Voraussetzungen gegengerechnet werden können. Wer als Anleger bereit ist, die Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsmodelle auf eigenes Risiko zu finanzieren, sollte vom Staat zumindest nicht benachteiligt werden. Dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einer Regierungserklärung ankündigt, den Wandel der Wirtschaft zu unterstützen, ist ein gutes Signal, dem aber noch weitere Taten folgen müssen.