Bundespräsident Joachim Gauck sitzt am 12. Dezember 013, dem 50. Todestag des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, vor Beginn einer Gedächtnis-Vorlesung in einem Hörsaal der Universität in Stuttgart. Foto: dpa

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich kräftig in die Politik eingemischt – und damit seine Kritiker widerlegt, die ihm eine allzu große Vorsicht und Zurückhaltung vorwerfen, findet Politikredakteur Winfried Weithofer.

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich kräftig in die Politik eingemischt – und damit seine Kritiker widerlegt, die ihm eine allzu große Vorsicht und Zurückhaltung vorwerfen, findet Politikredakteur Winfried Weithofer.

Ein beachtliches Pensum hat der Bundespräsident in den vergangenen Tagen absolviert, und es scheint, als habe er wieder Spaß an seinem Amt. Joachim Gauck hat sich kräftig in die Politik eingemischt und damit seine Kritiker widerlegt, die ihm eine allzu große Vorsicht und Zurückhaltung vorwerfen. Es ist ein Präsident, der auf einmal wieder klare Kante zeigt.

Dass er mit mancher Äußerung aneckt, liegt auf der Hand. Gauck versteht sich nicht als Politiker, und genau das schätzen die Deutschen an ihm. Der 73-Jährige will kein Staatsoberhaupt sein, das dem Volk nach dem Maul redet. Damit gibt Gauck seinem Urteil Qualität und Gewicht. Abkupfern vom Zeitgeist ist seine Sache nicht. Das konnte man noch seinem Amtsvorgänger Christian Wulff unterstellen, als der die Aussage traf, der Islam gehöre zu Deutschland. Dieses Zitat hat Gauck elegant eingefangen.

Im März 2012 wurde Gauck von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit gewählt, aber er ist für die Parteien gewiss kein bequemer Präsident. Das zeigte sich erst jetzt wieder bei seinem Auftritt in Stuttgart anlässlich des 50. Todestags von Theodor Heuss. Da las er all jenen die Leviten, die allzu forsch nach Volksentscheiden verlangen. Seine Rede, als Gedächtnisvorlesung gedacht, erhielt so Aktualität mit politischer Brisanz. Vor allem die CSU, die sich ja immer gern zum Vorkämpfer für Plebiszite macht, sollte die Argumente zur Kenntnis nehmen.

Mit Volksentscheiden sei die Gefahr verbunden, dass sich die Mehrheit einer Minderheit zu fügen habe – hoch motivierte und gut vernetzte Interessengruppen würden überproportionalen Einfluss auf die Politik erhalten, stellt Gauck fest. Aber auch die Schwächeren drohen bei Volksentscheiden unter die Räder zu kommen: Gauck weist richtigerweise darauf hin, dass Populisten und Antiliberale Bürgerabstimmungen für ihre Ziele missbrauchen könnten.

Schade nur, dass Gauck in diesen Tagen an anderer Stelle Rätsel aufgibt: Zu den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi will er nicht reisen – und reicht keine Begründung nach. Fehlt ihm etwa der Mut, die Moskauer Führung wegen Menschenrechtsverletzungen und Drangsalierungen der Opposition anzuprangern, die ja Tatsache sind? Man weiß sehr wohl, wie schlecht es um Gaucks Draht zu Wladimir Putin bestellt ist, doch der Bundespräsident lässt sich die Chance entgehen, das Verhältnis zum Kreml zu verbessern. Zudem beraubt er sich der Möglichkeit, Gespräche mit den Reformkräften in Russland zu führen.

Der Boykott mag dem Bauchempfinden entsprechen, wer aber die Dinge ändern will, darf dem Konfliktherd nicht ausweichen. Überhaupt: Eine Sportveranstaltung kann kein Ort politischer Auseinandersetzung sein. Wer kann in der Außenpolitik, und um die geht es, konsequent die Moral hochhalten – zumal im Verhältnis zu einer Macht wie Russland?

Nein, den idealen Präsidenten gibt es nicht, und ohnehin will sich Gauck nicht verbiegen. Sicher aber ist, dass er dem Amt wieder Ansehen und Würde gegeben hat. Sollte wider Erwarten eine Große Koalition am Mitgliedervotum der SPD scheitern, fällt dem Bundespräsidenten eine Schlüsselrolle zu. Man darf davon ausgehen, dass er dieser Rolle – es geht um einen Neuanlauf für Schwarz-Grün oder aber eine Neuwahl – souverän gerecht wird.

In Stuttgart erlebte das Publikum ein lockeres und gelöstes Staatsoberhaupt mit gewinnendem Charisma. Die Reisestrapazen der letzten Tage hat er abgeschüttelt. Gauck will ein Bürgerpräsident sein – so wie einst Theodor Heuss. Es ist ihm zuzutrauen, dass Historiker ihm einmal diesen Titel verleihen.