Chianti oder Fanta? Michelangelo oder Nicolas Gonzalez? Unser Autor weiß: Beim Familienurlaub in der Toskana prallen unterschiedlichste Interessen aufeinander.
Stuttgart - Die Vorteile einer Urlaubsreise am Ende der baden-württembergischen Sommerferien liegen auf der Hand: größere Auswahl, günstigere Preise - und vor allem: triumphierende Blicke in Richtung der Nachbarsfamilie, deren Vater mürrisch das abgelaufene Österreich-Pickerl von der verschmutzten Windschutzscheibe kratzt, während man selbst frohgemut Badetasche und Kühlbox im vollgetankten VW-Bus verstaut. „Schön, dass Ihr wohlbehalten zurückgekehrt seid“, sage ich in solchen Fällen gerne, „wir sehen uns in zwei Wochen.“
Klar ist aber auch der große Nachteil dieser Urlaubsplanung: die Großwetterlage in Mitteleuropa, die – Klimawandel hin oder her – Anfang September eine andere ist als Ende Juli. Von der Ostsee erreichten uns dieser Tage Fotos einer befreundeten Familie, auf denen das Meer vor lauter Nebel und Nieselregen nur zu erahnen war. Keine Reaktion folgte auf die Fotos der Ballspielwettbewerbe am Swimmingpool unseres Ferienhauses in der sonnenüberfluteten Toskana, mit denen ich die Urlaubsgrüße erwiderte, um unseren Freunden einen kleinen Eindruck unserer Erlebnisse zu vermitteln. Unbeantwortet blieb auch meine Frage, ob sie vor der Abreise daran gedacht hatten, genügend Brettspiele einzupacken.
Spannungen sind vorprogrammiert
Was wir unseren Freunden bislang verschwiegen haben: seine Tücken hat auch ein Familienurlaub in der Toskana, dem traditionellen Sehnsuchtsziel von Oberstudienräten, Kunsthistorikern und Alt-68ern, die sich nicht mehr dem Klassenkampf widmen, sondern dem Rotwein. Denn malerische Landschaften, alte Kirchen, Märkte voller Kunsthandwerk und Weinproben, auf denen es kein Fanta gibt, gehören gewöhnlich nicht zu den Dingen, die Kinder bei der Frage nach dem perfekten Sommerurlaub als Erstes nennen. Spannungen sind also vorprogrammiert und lassen sich meist nur mit drei weiteren Kugeln Eis aus der Welt schaffen.
Drei weitere Kugeln Eis pro Nase
Für einiges Unverständnis sorgte innerhalb unserer aus gleich drei Familien bestehende Reisegruppe beispielsweise der Stadtrundgang in Siena, da auch alle gotischen Baudenkmäler nichts daran ändern, dass der örtliche Fußballverein nur in der dritten Liga spielt. Erstklassig ist zwar der AC Florenz, der Traditionsclub aus der weltberühmten Renaissancemetropole – doch prallten auch bei diesem Ausflug unterschiedliche Interessen frontal aufeinander. Zumindest für Teile unseres Nachwuchses wäre ein Treffen mit dem früheren VfB-Stürmer Nicolas Gonzalez ungleich aufregender gewesen als jenes mit dem David von Michelangelo.
Dennoch werden wir versuchen, die bevorstehende Heimfahrt dazu zu nutzen, unsere Kinder die wichtigsten Eckdaten der florentinischen Kunstgeschichte auswendig lernen zu lassen. Drei weitere Kugeln Eis pro Nase winken, wenn sie darüber beim Wiedersehen freudestrahlend unseren Nachbarn berichten.
Zur Person
Marko Schumacher (49) ist Sportredakteur, Vater von vier Kindern – und nicht immer unglücklich, wenn der Nachwuchs die Besichtigung alter Gemäuer verweigert.