Eigentlich hatte Heidi Klum bei mir Hausverbot. Aber das Coronavirus hat ihr die Hintertür geöffnet. Foto: dpa/Kay Nietfeld

An welcher Erziehungskreuzung habe ich die falsche Abzweigung gewählt? Vor dieser Frage steht unsere Autorin immer donnerstagabends.

Stuttgart - Die Coronapandemie beschert mir eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Im Sommer war meine Tochter ins Studentenleben aufgebrochen; doch für Tränen war kaum Zeit. Die Flüggegewordene kehrte an Weihnachten zurück und sitzt dank Online-Studying sowie harter Quarantäne- und Test-Auflagen in der fernen Uni-Stadt seither wieder im gemachten Nest.

Wie sich das anfühlt? Sagen wir mal so: Wir machen das Beste daraus. Die Clubs sind halt zu. Dafür hat die Spieleschublade in unserem Wohnzimmer täglich geöffnet. Meine Favoriten daraus finden bei den anderen in der Familie leider wenig Anklang: Beim Legespiel „Saboteur“ geht es darum, heimlich den Sieg der Goldgräber-Zwerge zu verhindern; und bei „Halt mal kurz“, der Uno-Variante in der Regie von Marc-Uwe Klings Känguru, droht spontane Umverteilung. Kein Problem, ich bin auch bei einer Runde „Monopoly“ dabei.

Eine Dauerdemütigung

Nicht so gern dabei bin ich am Donnerstagabend, wenn meine Tochter oldschoolmäßig auf analoges Fernsehen setzt. Ich weiß, die Clubs sind zu! Vor den nächsten, übernächsten und allen zukünftigen Top-Model-Generationen wähnte ich mich mit dem Auszug der Studentin endgültig verschont, jetzt bringt das Coronavirus Heidi Klum durch die Hintertür zurück.

Es gibt massig Gründe dafür, warum Mädchen diese Dauerdemütigung eigentlich boykottieren sollten. „Ich mag Heidi“, hatte eine Freundin meiner Tochter einmal verzweifelt auf meine Flut von Argumenten geantwortet. Stimmt: Die seit 2006 amtierende Top-Model-Moderatorin ist für Mädchen im Alter meiner Tochter so etwas wie eine Übermutter, nur Angela Merkel ist noch ein Jahr länger im Amt. „Kann eigentlich auch jemand anderes Bundeskanzlerin werden?“, hatte eines meiner Kinder einmal gefragt.

Trostpflaster Diversity

Angie geht, aber Heidi bleibt. Und mit ihr mein mieses Gefühl, an irgendeiner Erziehungskreuzung die falsche Abzweigung gewählt zu haben. War’s schlimm, dass das Kind die Klamotten seiner Cousinen auftragen musste? Dass es zwei Modemuffel zu Eltern hat, die erst spät das Label „nachhaltig“ adelte? Der Apfel fällt angeblich nicht weit vom Stamm, aber bei der Geschmacksbildung meiner Tochter muss Sturm geherrscht haben.

Klar sind wir uns einig, dass nicht Äußerlichkeiten, sondern die inneren Werte einen Menschen ausmachen. Selbst Heidi setzt inzwischen auf Diversity. Rund, mit Tattoos, nicht-binär, gehörlos, klein, schwarz…? Am Ende bleiben doch die übrig, die langbeinig wie Störche über den Steg staksen. Der Erwartungsdruck, in ihr gutes Aussehen zu investieren, steigt für junge Frauen so noch mehr. Kinder dagegen stark zu machen, ist eine echte Aufgabe. Vielleicht hat sich der inszenierte Zickenkrieg der Topmodels ja auch irgendwann auserzählt. Meine Tochter steigt nun ab und an vor Sendeschluss aus. „Langweilig“, sagt sie und zieht die Spieleschublade auf.

Andrea Kachelrieß hat zwei Kinder, und das seit einigen Jahren. Gefühlt bleibt sie in Erziehungsfragen aber Anfängerin: Jeder Tag bringt neue Überraschungen. Als Kulturredakteurin betreut sie auch die Kinderliteratur.