Mit Körpersprache gelingt selten Täuschungsmanöver – Gesten leichter zu durchschauen als Mimik.
Berlin - Rund 65 Prozent der menschlichen Kommunikation verläuft ohne Worte. Psychiater und Kriminologen suchen in Gesichtern nach kleinsten Bewegungen, um auf verborgene Gefühle zu schließen. Am auffälligsten verrät sich der Mensch aber durch die Füße.
Lügner verraten sich nicht durch Worte, sondern durch Gesten: auch Bill Clinton. Als der ehemalige US-Präsident sich im Jahr 1998 wegen seiner Affäre zu der damaligen Praktikantin Monika Levinsky verantworten musste, weicht er jeder Frage mit formaljuristischen Pseudo-Antworten aus. Zugeben tut er nichts. Psychiater, die die Körpersprache analysieren, stellten aber fest: 26-mal fasst Clinton sich an die Nase, als Staatsanwälte ihn fragen, ob er Sex mit Monica Lewinsky hatte.
Die lange Nase bei Lügnern ist also nicht nur die Erfindung des italienischen Autors Carlo Collodi: Die Psychiater Alan Hirsch und Charles Wolf von der Smell and Taste Foundation der Universität Illinois können das Wachstum des Riechorgans beim Lügen sogar wissenschaftlich belegen. Pinocchio-Effekt nannten sie die Stressreaktion. Beim Lügen setzt der Körper unter anderem Hormone frei, die den Blutfluss in der Nase verstärken. Sie schwillt an und wächst um Millimeterbruchteile.
Mehr als 10.000 kleinste Gesichtsausdrücke haben Forscher allein in der menschlichen Mimik ausgemacht
Auch wenn die Lügen nur so aus unserem Mund purzeln, mit Hilfe der Körpersprache gelingt selten ein Täuschungsmanöver. Mehr als 10.000 kleinste Gesichtsausdrücke haben Forscher allein in der menschlichen Mimik ausgemacht. Sie drücken Emotionen aus wie Ekel, Ärger, Angst, Traurigkeit, Freude, Überraschung und Verachtung. Im Gegensatz zum gesprochenen Wort entstehen sie aus dem Bauch heraus. Reiz-Reaktionssprache nennen Wissenschaftler das. Sie folgt keiner Logik und ist nur unter großen Anstrengungen manipulierbar.
Ein Vorreiter auf diesem Gebiet der Mikroausdrücke ist der amerikanische Emotions-Psychologe Paul Ekman. Das Gesicht, so der Wissenschaftler, ist das Fenster zum Ich. In zahlreichen Tests studierte er unterschiedlichste Regungen. Ekman entwickelte das sogenannte Facial Action Coding System (FACS), das heute Psychiatern und Kriminologen bei der Einschätzung von Patienten oder potenziellen Straftätern dient und eine gut trainierte Beobachtungsgabe erfordert.
Täuschungsversuche setzen den Körper unter Stress. Er reagiert darauf mit plötzlichen Veränderungen in Mimik und Gestik. Man leckt sich die Lippen, fährt mit der feuchten Hand über die Hose, weicht mit dem Blick aus oder zupft am Kragen, runzelt die Stirn, blinzelt. Besonders auffällig ist, wenn sich im Gespräch das Verhalten plötzlich ändert. Clinton beispielsweise rieb sich genau dann so oft an der Nase, als die Staatsanwälte auf die sexuelle Beziehung zu Lewinsky zu sprechen kamen.
Ein Lächeln kann besonders gut vorgetäuscht werden, weil es in allen gesellschaftlichen Bereichen goutiert wird
Rund 65 Prozent der menschlichen Kommunikation verläuft ohne Worte. Von Kindesbeinen an lerne der Mensch, Masken aufzusetzen, schreibt Ekman in seinem Buch „Gefühle lesen“. Ein Lächeln kann besonders gut vorgetäuscht werden, weil es in allen gesellschaftlichen Bereichen goutiert wird. Doch im Unterbewusstsein spüren Menschen, wie authentisch sich das Gegenüber verhält. Instinktiv besitzen sie die Fähigkeit, Ungereimtheiten zu erkennen – der sensible Beobachter noch ein bisschen eher als andere. Beim ehrlich gemeinten Lächeln beispielsweise öffnen sich die Pupillen. „Die entscheidende Muskelgruppe, die ein echtes Lächeln belegt, befindet sich um die Augen“, so Ekman. „Zeichnen sich keine Krähenfüße dort ab, dann setzt die Person womöglich eine Maske auf.“
Auch Ärzte nutzen die Erkenntnisse des Psychologen, um Patienten besser einschätzen zu können. So schildert Ekman einen Fall, in dem ein Arzt eine depressive Patientin entlassen wollte – weil die Frau beteuerte, es gehe ihr besser. Andererseits fürchtete er, dass die Patientin nur nach einer Möglichkeit suche, sich umzubringen. Die Analyse ihrer Gesichtsausdrücke belegte die Ahnung des Arztes: So fragte er die Patientin nach ihren Plänen für die Zukunft. In einem Sekundenbruchteil zeigte sich starke Angst in ihren Gesichtszügen – der Mikroausdruck ließ sich nur mittels Zeitlupe erkennen.
„Unser ehrlichstes Körperteil sind die Füße“
Während die Mimik viel Aufmerksamkeit und Konzentration eines geschulten Beobachters erfordern, sind Gesten und Bewegungen oft leichter deutbar. Überraschenderweise lohnt sich der Blick auf den Boden. „Unser ehrlichstes Körperteil sind die Füße“, schreibt der ehemalige FBI-Agent Joe Navarro, der über zwei Jahrzehnte Spione und Verbrecher anhand ihrer Körpersprache enttarnte.
Kein Wunder, waren doch die ursprünglichsten Reaktionen auf Gefahren schon vor Millionen von Jahren Innehalten, Davonlaufen, Treten. „Diese haben wir so verinnerlicht, dass unsere Füße und Beine heute noch ähnlich auf Gefahr oder auf uns unsympathische Personen oder Situationen reagieren“, so Navarro.
Fühlen sich Menschen in die Enge getrieben oder gar bei einer Lüge ertappt, fangen die Füße an zu wippen. Sie weisen in die Richtung, wo eine Fluchtmöglichkeit bestehen könnte. Spitzenpolitiker beispielsweise wissen um die Aussagekraft ihrer unteren Gliedmaßen. In Fernsehdiskussionen verdecken sie Beine und Füße deshalb gerne hinter einem Pult. Nervöses Trippeln, während Wahlversprechen abgegeben werden, wirkt unglaubwürdig. Was Bill Clinton anbetrifft: Man hätte gerne gewusst, was unterm Tisch passierte, als die Grand Jury ihn verhörte. Leider ist auf den Videos nur sein Oberkörper sichtbar.