Hans-Beat Motel spricht über Königsfeld im Dritten Reich. Foto: Hübner Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Hans-Beat Motel beleuchtet Gemeindeleben im Dritten Reich / Nur wenige kritische Stimmen

"Führer, wir folgen dir – oder Jesu, geh voran?" war die Frage, die im Mittelpunkt eines Vortrags von Hans-Beat Motel stand. Sein Fazit über die Herrnhuter Brüdergemeine im Dritten Reich fiel kritisch aus.

Königsfeld. Über die Herrnhuter Brüdergemeine im Dritten Reich sprach im Rahmen der "Königsfelder Begegnungen" des Historischen Vereins Hans-Beat Motel, Pfarrer in Rente. Das Thema füge sich in das Gedenken an die Millionen Opfer von Krieg und Gewalt am Volkstrauertag ein, so Bürgermeister Fritz Link.

Er benutze nur Quellen der Brüdergemeine, betonte Motel. Es sei nicht schwierig gewesen, diese zu bekommen. Bei Bildern sei aber wohl einiges verschwunden. Seine Erkenntnisse nannte Motel "ziemlich schockierend". Bei seinem Referat gehe es nicht darum, zu urteilen, sondern aus der Geschichte zu lernen. Zumal man wieder in einer Zeit lebe, in der nationalistisches Denken erstarke.

Die Machtergreifung Hitlers löste in Herrnhuter Gemeinden laut Motel Ehrfurcht und Bewunderung aus. Bis Anfang der 1940er-Jahre wurden Dankgottesdienste gefeiert, vor dem Kirchensaal wehten Hakenkreuzfahnen. Die Herman-Volandt-Straße wurde zur Adolf-Hitler-Straße.

Es gab Feste zum Geburtstag Hitlers unter Mithilfe der Bläserchöre, das Horst-Wessel-Lied wurde gesungen, in Schriften der Führer mit Jesu verglichen. Sehr positiv fiel in Königsfeld die Berichterstattung zur Reichstagswahl vom November 1933 aus. Motel sprach von "einer Art kirchlich verbrämtem Volksfest".

Das theologische Institut in Herrnhut verlangte zeitweise von Anwärtern die SA-Mitgliedschaft. Viele sahen im Dritten Reich eine von Gott gewollte Ordnung als Schutzwall gegen den Bolschewismus. "Die Brüdergemeine stellte sich ganz auf die Seite der neuen Macht", sagte er.

Die Satzung der Zinzendorfschulen in Königsfeld sprach vom Heranbilden zu nationalsozialistischen deutschen Männern und Frauen und christlichen Charakteren. Ab 1940 wurde der Religionsunterricht verboten. Die Begeisterung für Nazis hielt bis weit in den Zweiten Weltkrieg an, so der Pfarrer. Betroffen gemacht habe ihn, dass Herrnhuter besonders auf Seiten der Macht standen, in einem Königsfelder Jahresbericht die Befreiung des Sudetenlands als Großtat des Führers, der Krieg als absolut notwendig angesehen wurde. So gab es in Königsfeld beispielsweise einen Dankgottesdienst für das Misslingen des Stauffenberg-Attentats.

In fast allen Gemeinden gab es ab 1940 Kriegsgebetsstunden. "Der reichsdeutsche Größenwahn hatte die Herrnhuter erreicht", urteilte Motel. Er sprach von einer Verschmelzung von NSDAP, kirchlichem Leben und Glauben. Viele hatten sich von der Kirche abgewandt.

Besonders düster und schockierend sei die Haltung zu Juden gewesen. Diskriminierung, Verfolgung und Kristallnacht wurden nicht erwähnt, die Nürnberger Gesetze als wichtig für die Zukunft des Volks angesehen. Darin ging es unter anderem um das Verbot der Vermischung von Juden und Nichtjuden. Auch gründeten Missionare NSDAP-Gruppen in Surinam und anderswo.

Es gab laut Motel aber auch Lichtblicke, einzelne jüngere Theologen äußerten sich kritisch. Ab 1935 mahnte eine Synode den unbedingten Gehorsam zum Evangelium als Grundlage des Glaubens an. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP Königsfeld weigerte sich, den Sitz im Ältestenrat aufzugeben, und eine Lehrerin jüdischer Abstammung fand in den örtlichen Zinzendorfschulen ein geschütztes Zuhause.

Motel nannte die "völlig unkritische Verschmelzung von Nazi-Gedankengut und christlichem Glauben" als Haupt-Irrweg. "Königsfelder Jahresberichte ließen jede kritische Distanz vermissen", betonte er. Ein "Entweder-Oder", wie es der Titel des Vortrags suggeriere, gab es nicht, stattdessen müsste ein "Und" eingefügt werden. Entsprechend ernüchternd war somit für viele das Erwachen 1945. "Die Selbsterkenntnis kam zu spät", sagte Motel.

Als Gründe für das Verhalten nannte er unter anderem die große Angst vor dem Bolschewismus oder Luthers Zwei-Reiche-Lehre, die anbiete, sich unpolitisch zu verhalten. Auch sei freie Berichterstattung unmöglich gewesen, zudem habe man auch in Königsfeld Angst vor Spitzeln gehabt.

Aus den Ereignissen sei zu lernen, dass man den Anfängen wehren, sich totalitären Bewegungen widersetzen müsse. Menschen anderen Glaubens oder anderer Herkunft dürften nicht ausgegrenzt oder diffamiert werden. Auch müsse man sich immer fragen: "Was hätte ich gemacht?" An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an, unter anderem beschrieben Besucher ihre eigenen Erlebnisse, etwa, dass der Volkstrauertag früher als Heldengedenktag gefeiert wurde.