Die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney will sich auch künftig für eine allgemeine doppelte Staatsbürgerschaft einsetzen Foto: Leif Piechowski

In der türkischen Regierung war man sich nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags der Großen Koalition unsicher: Ist das Glas beim Thema Doppelpass nun halb voll oder halb leer?

Istanbul/Stuttgart - In der türkischen Regierung war man sich nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags der Großen Koalition unsicher: Ist das Glas beim Thema Doppelpass nun halb voll oder halb leer? In Regierungskreisen hieß es, einerseits sei die Entscheidung positiv – für viele fällt der Zwang weg, sich entscheiden zu müssen. Andererseits würden auch in Zukunft immer noch viele Türken in Deutschland vor die Wahl gestellt, entweder auf die deutsche oder auf die türkische Staatsbürgerschaft zu verzichten. Probleme werde es also weiter geben.

Bei den Türken in Deutschland stößt der Kompromiss von Union und SPD zur doppelten Staatsbürgerschaft auf massive Kritik. „Wir sind tief enttäuscht“, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. Dass es lediglich eine Verbesserung für junge Leute aus Zuwandererfamilien gebe, nicht aber für die älteren Generationen, sei ungerecht. Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) will sich weiter für eine allgemeine doppelte Staatsbürgerschaft einsetzen. „Der Bundesrat hat bereits im Sommer unseren Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen. Die Initiative sieht die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit vor“, sagte Öney.

Der Bundesrat hatte im Juli für eine Gesetzesinitiative mehrerer Länder, in denen SPD, Grüne und Linke regieren, gestimmt. Danach sollen die doppelte Staatsbürgerschaft generell zugelassen und das Optionsmodell abgeschafft werden. Mit diesem Vorstoß müsse sich der neue Bundestag erst noch befassen. Öney sagte: „Ich halte mich an Friedrich Nietzsche: Viele verfolgen stur den Weg – nur wenige verfolgen stur das Ziel.“

In der Türkei wird die doppelte Staatsbürgerschaft ohne Probleme hingenommen, das deutsche Optionsmodell war in Ankara stets scharf kritisiert worden. In den türkischen Medien wurde der Beschluss von Union und SPD am Donnerstag daher überwiegend positiv bewertet: Die Zeitung „Vatan“ widmete einen großen Teil ihrer Titelseite der Schlagzeile „Sieg der Türken“ und einem Bild einer lächelnden Angela Merkel.

Die Türkei dürfte auch der neuen Bundesregierung weiter Druck machen, um eine generelle Zulassung des Doppelpasses durchzusetzen. Vizepremier Bekir Bozdag, in der Regierung Erdogan für die Belange der rund fünf Millionen Auslandstürken zuständig, erklärte, die Regelung im Koalitionsvertrag reiche nicht und sei ein „positiver, aber halber Schritt“. Bozdag forderte, alle Schranken für die doppelte Staatsbürgerschaft sollten fallen. Das bisherige Optionsmodell nannte Bozdag „menschenrechtswidrig“.