Die Lage in den Kinderstationen bleibt angespannt. Foto: dpa/Britta Pedersen

Auf einem digitalen Gipfel zur Lage der Kindermedizin hört sich Minister Manfred Lucha die Nöte der Ärzte an. Mit schneller Hilfe kann er kaum dienen.

Verzweifelte Telefonate zwischen Ärzten mitten in der Nacht, um kranke Kinder mangels freier Betten in andere Kliniken zu verlegen, Kinder mit schwerer Influenza, die nach zwei Stunden Warten in der Notaufnahme wieder weggeschickt werden müssen, ein Säugling, dessen Leistenbruch-Operation mehrmals verschoben wird, bis sich sein Darm einklemmt und ihm in einer Notoperation ein künstlicher Darmausgang gelegt werden muss.

Das sind nur einige der dramatischen Berichte von Ärzten, die am Donnerstag bei dem von Sozial- und Gesundheitsminister Manfred Lucha anberaumten digitalen Fachgipfel Kindergesundheit zu hören waren. Die aktuelle Infektionswelle, bei der sich der Schwerpunkt mittlerweile vom RS-Virus hin zu stark steigenden Influenza-Infektionen verlagert hat, bringt Kinderkliniken und Kinderarztpraxen an ihre Grenzen – und darüber hinaus. „Wir nehmen Patienten auf, die wir eigentlich nicht behandeln können“, sagt Christian von Schnakenburg, Chefarzt am Klinikum Esslingen und Landesvorsitzender des Verbandes leitender Kinder- und Jugendärzte Deutschlands. „Diese Situation war vorprogrammiert“. Bereits vor einem Jahr sei die Regierung gewarnt worden. Doch seitdem sei nicht viel passiert.

Betten bleiben mangels Personal leer

In der aktuellen Krise werden die Probleme überdeutlich, an denen das Gesundheitswesen schon länger krankt – allen voran die Personalnot, die derzeit durch viele Krankheitsfälle noch vergrößert wird. Betten blieben leer, weil Ärzte und Pflegekräfte fehlten, berichtet Stefanie Bieberstein, stellvertretende Pflegedirektorin an der Uniklinik Freiburg. In manchen Krankenhäusern sei teilweise die Hälfte der Betten nicht belegbar.

Ähnlich angespannt ist die Lage im ambulanten Bereich. „Zusammen mit nur einer Helferin muss ich teilweise 90 Patienten versorgen“, berichtet der Freiburger Kinderarzt Roland Fressle, der zugleich Landesvorsitzender des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte ist. Trotzdem bekäme er pro Kind und Quartal weniger als 40 Euro – egal wie oft es in die Praxis komme. „Unsere Budgets sind längst ausgeschöpft“. Auch zusätzliches Personal sei kaum zu bekommen.

Fressle fordert unter anderem eine bessere Vergütung von Beratungsleistungen und den Wegfall „unnötiger Leistungsbegrenzungen“. Zugleich hält er es für wichtig, die Gesundheitskompetenz der Eltern etwa durch Beratungsangebote zu verbessern, um Praxen und Notaufnahmen zu entlasten. Wenn ein Kind Schnupfen habe, reiche es oft, ihm Nasentropfen zu geben. Und wenn ein Kind Fieber habe, es ihm sonst aber halbwegs gut gehe, könne man das in der Regel auch zuhause auskurieren. „Aber wenn eine ärztliche Untersuchung nötig ist, stehen wir selbstverständlich zur Verfügung“.

Enorme Wartezeiten

Auf dem Fachgipfel kommt auch die Frage auf, wie es über die Feiertage um die medizinische Versorgung der Kleinsten stehen wird. „Kliniken und Notaufnahmen werden möglicherweise enorme Wartezeiten haben, aber nicht schließen“, meint dazu Christian von Schnakenburg. Ähnlich äußert sich auf Anfrage dieser Zeitung auch der Vorstandschef des Klinikums Stuttgart, Jan Steffen Jürgensen: „Wir rechnen insbesondere in den Notaufnahmen mit einer stärkeren Inanspruchnahme, da viele Haus- und Kinderärzte über die Feiertage keine oder sehr eingeschränkte Sprechstunden anbieten.“

Schnelle Hilfe konnte Minister Lucha nicht versprechen. Er bekräftigte jedoch, dass die Pflegepersonaluntergrenzen an den Kinderkliniken im Land weiterhin nicht eingehalten werden müssen. Zudem will Lucha konkrete Forderungen an den Bund formulieren. Im kommenden Jahr übernimmt Baden-Württemberg turnusgemäß den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz.