Für Matthias Kalkuhl steht der Kampf gegen die Erderwärmung nicht im Widerspruch zu einer florierenden Wirtschaft – ganz im Gegenteil. Im Interview plädiert der Berliner Ökonom für eine intelligente CO2-Bepreisung, die ärmere Haushalte sogar entlasten könnte.
Stuttgart - Jede Tonne CO2 verursacht einen bestimmten Schaden durch die Folgen des Klimawandels. Wie hoch dieser Schaden ist, wie hoch der CO2-Preis sein müsste und was das für die Spritpreise bedeuten würde, erklärt der Ökonom Matthias Kalkuhl im Interview.
Herr Kalkuhl, Sie untersuchen die Folgekosten des Klimawandels. Werden da auch Hochwasserschäden wie zuletzt in Westdeutschland berücksichtigt?
Starkregen und Unwetter fließen als meist kleinräumige Phänomene nicht in unsere Berechnungen ein, obwohl es auch hier starke Indizien für einen Zusammenhang mit dem Klimawandel gibt. Bei Wetterextremen konzentrieren wir uns auf großflächige Ereignisse, weil da der Klima-Einfluss relativ klar ist. Wir schauen daher vor allem auf Hitze und Dürre. Andere Auswirkungen des Klimawandels, etwa auf die natürliche Artenvielfalt, können wir nicht quantifizieren. Sie bleiben deshalb ebenso außen vor wie Extremniederschläge. Wir bewegen uns mit unseren Abschätzungen also bewusst am unteren Rand.
Nach Ihren Berechnungen verursacht eine im Jahr 2020 ausgestoßene Tonne CO2 Schäden von 80 bis 150 Euro. Wie kommt man auf solche Werte?
Wir quantifizieren die Schäden aufgrund empirischer Auswertungen zur Wirtschaftsleistung in über 1400 Regionen der Welt über die letzten 40 Jahre. Da gibt es schon eine Menge Daten, auf die man zurückgreifen kann. So ist vielfach belegt, wie Hitzestress das Pflanzenwachstum hemmt und zu Ertragseinbußen führt. Das Gleiche gilt für längere Dürreperioden. Auch die negativen Folgen hoher Temperaturen für Gesundheit und Arbeitsproduktivität lassen sich klar belegen.
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Was müsste etwa ein Liter Benzin kosten, um alle Klimafolgekosten zu decken?
Die zu Jahresbeginn gestartete nationale CO2-Bepreisung in Deutschland belastet die Emission einer Tonne CO2 aus der Verbrennung von Kraftstoffen, Heizöl oder Erdgas mit 25 Euro. Würde das auf 150 Euro erhöht, also unsere obere Abschätzung für die Klimaschäden 2020, würde sich der Liter Benzin um weitere 35 Cent und der Liter Diesel um 39 Cent verteuern. Aber man kann auch anders vorgehen und überlegen, wie hoch der CO2-Preis sein müsste, damit Deutschland die vorgegebenen Klimaziele erreicht. 2030 könnten diese Kosten nach unseren Berechnungen bei bis zu 300 Euro pro Tonne CO2 liegen. Dann müsste ein Liter Benzin 78 und ein Liter Diesel 87 Cent mehr kosten.
Das klingt nach einer Belastung, die sich viele Autofahrer nicht leisten können.
Für Haushalte, die viel pendeln, ist das schon ein Batzen. Deshalb müssen die Erlöse aus der CO2-Abgabe wieder an die Bürger zurückfließen – natürlich so, dass trotzdem Anreiz zur Verhaltensänderung besteht. Das geht am besten über eine Pro-Kopf-Zahlung, die bei so hohen Preisen über 600 Euro pro Jahr betragen kann – also 2400 Euro für eine vierköpfige Familie. Wer dann trotzdem Energie spart, stellt sich besser.
Und wie sieht es mit Flugreisen aus?
Der CO2-Preis sorgt dafür, dass die eine oder andere Flugreise eingespart wird. Aber er führt auch zu Innovationen in der Flugbranche, die ja letztlich auch dekarbonisiert werden muss. Wenn man die CO2-Bepreisung intelligent regelt, werden auch künftig nicht nur Reiche fliegen können. Durch die Pro-Kopf-Zahlung würden ärmere Haushalte sogar bessergestellt: Sie verursachen ja deutlich weniger CO2-Emissionen als besser situierte Haushalte, zahlen also auch weniger für die CO2-Bepreisung, bekommen aber genauso viel zurück.
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Technischer Fortschritt kann vieles bewirken, aber ganz ohne Verzicht wird es im Klimaschutz nicht gehen – oder?
So viel Verzicht wird gar nicht nötig sein, der Wohlstand entwickelt sich nur in eine andere, nachhaltigere Richtung. Aber es wird Bereiche geben, die sich grundlegend umstellen müssen – etwa die energieintensive Industrie. Hier muss die Abwanderung betroffener Branchen ins Ausland verhindert werden, notfalls durch einen CO2-Grenzausgleich, besser noch durch eine internationale Koordination bei der CO2-Bepreisung, damit es durch Klimaschutz keinen unfairen Wettbewerb gibt.
Bei der Umsetzung internationaler Klimaabkommen hapert es aber noch gewaltig.
Ich sehe das nicht so pessimistisch. In den USA regiert jetzt Joe Biden. Und angesichts der zunehmenden Klimaschäden in Amerika und China ist Klimakooperation mit der EU durchaus realistisch. Andere Länder könnten mitziehen. Und Schwellen- und Entwicklungsländern könnte man mit Finanzhilfen Anreiz zum Einstieg in CO2-Bepreisung geben.
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Viele argumentieren, die Aufwendungen für Klimaschutz seien niedriger als die drohenden Folgekosten. Wie sind denn da die Relationen?
Die Kosten für einen Klimaschutz, der die Temperaturziele des Paris-Abkommens erreichbar machen würde, werden aktuell auf jährlich zwei bis vier Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung geschätzt. Wenn wir dagegen weitermachen wie bisher und auf eine deutlich heißere Welt als vor der Industrialisierung zusteuern, wird es viel teurer. Die jährlichen durch den Klimawandel bedingten Kosten steigen dann bis zum Ende des Jahrhunderts auf 14 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Klimaschutz lohnt sich also auf jeden Fall.
Der Klimaforscher
Position
Matthias Kalkuhl (38) ist seit 2015 Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Universität Potsdam. Zudem leitet er die Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.
Themen
Zu Kalkuhls Arbeitsschwerpunkten zählen die Bepreisung von CO2-Emissionen, die Fiskal- und Steuerpolitik sowie makroökonomische und verteilungspolitische Aspekte der Klimapolitik. Das beinhaltet auch Untersuchungen zu den steigenden Kosten, die der Klimawandel in vielen Bereichen verursacht.