Klimakongress klingt trocken. Doch wenn Boris Palmer spricht, wird es unterhaltsam. Er nahm Bürokratie und Artenschützer ins Visier – und verschonte auch den Kreis Calw nicht.
Der Landkreis Calw hat sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben. Bei dem Zukunftsthema wolle man nicht einfach nur auf der Ersatzbank sitzen, nicht nur „Trainingsweltmeister“ sein und auch nicht mit dem Finger auf andere zeigen. „Wir wollen selbst etwas tun – und zwar jetzt“, gab Landrat Helmut Riegger zur Eröffnung des dritten Klimakongresses des Landkreises im Congress Centrum Wart als großes Ziel aus. Ein Projekt, das er dabei besonders hervorhob, war die Hermann-Hesse-Bahn, die sich auf der Zielgeraden befindet.
Wie können Kommunen beim Klimaschutz punkten? Für diese Frage gibt es keinen besseren Referenten als den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der hat nicht nur schon jede Menge eigene Erfolge vorzuweisen, sondern kann das dröge Thema auch noch witzig, unterhaltsam und selbst für absolute Laien verständlich an den Mann und die Frau bringen.
Der Tübinger OB kam zu spät – wegen Panne am Pedelec
Deswegen war es ein Glücksgriff des Teams der Klimaleitstelle des Landkreises um Sandra Hinke, die den Kongress organisierten, den ebenso umstrittenen wie öffentlichkeitswirksamen Palmer von Tübingen für ein paar Stunden nach Altensteig-Wart zu lotsen – wo der dank eines demolierten Pedelec-Getriebes etwas verspätet eintraf. Den Teilnehmern des Kongresses aus Politik und Wirtschaft der Region war es offensichtlich gleichgültig – bekamen sie doch Einblicke in kommunalen Klimaschutz und Unterhaltung in einem.
Tübingen hat sich – unterstützt von Straße und Gemeinderat – zum Ziel gesetzt, schon 2030 klimaneutral zu sein. Fünf Jahre früher als etwa der Landkreis Calw. 100 Prozent des eigenen Stroms soll aus erneuerbaren Energien kommen – 50 Prozent aus Anlagen auf eigener Gemarkung, 50 Prozent von Anlagen jenseits des Stadtgebiets. Das werde man schaffen, verkündete Palmer nicht ohne Stolz, allerdings habe man auf dem Weg dahin so manche bürokratische Klippe umschiffen müssen. So brauchten die Bürokraten ein halbes Jahr um festzustellen, dass die beste Ausrichtung eines Solarparks die Richtung Süden ist.
Boris Palmer: „Schneller als mit dem Fahrrad ist in Tübingen niemand“
Auch beim Thema Verkehr sei man schon weit, vor allem in Sachen Radverkehr. Der ADFC habe Tübingen als fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands ausgezeichnet. Dafür hat man auch so einiges gemacht. Mit (auch beheizten) Radbrücken und Tunnels habe man eine durchgängige Verbindung durch die Stadt geschaffen – ein „Rad-Highway-Netz“ durch Tübingen, wie es Palmer nannte. „Schneller als mit dem Fahrrad ist in Tübingen niemand“, stellte er klar. Das hatte seinen Preis: Mit 100 Euro pro Kopf habe die Stadt mehr als die allermeisten anderen Städte für den Radverkehr ausgegeben, so Palmer. Kritische Fragen nach den Kosten der Radbrücke konterte Palmer schlagfertig: „Besser eine solche Radbrücke als ein Fledermaustunnel.“
Nur beim Autoverkehr komme man nicht wirklich an sein Ziel – und das trotz der größten Carsharing-Flotte in Deutschland, musste Palmer einräumen. Das liege zum Beispiel daran, dass die Tübinger immer die neuesten Verbrenner-Autos kauften. Auch beim Thema Wärme gebe es noch genug bis zur Klimaneutralität zu tun, für beide Sektoren rechnet der Entertainer in Gestalt eines OB mit einer Realisierung bis 2040.
Palmer nimmt Artenschützer und Windkraft-Gegner ins Visier
Mit seiner (ehemaligen) Klientel ging der ehemalige Grüne teils hart ins Gericht. Vor allem die Artenschützer nahm er treffsicher ins Visier. Etwa als ein kleiner Vogel namens Ziegenmelker fast die Erweiterung der Uniklinik Tübingen verhindert hätte. Erst als der Vogel nicht mehr gesichtet und dann offiziell per amtlichem Totenschein für tot erklärt worden war, war der Weg frei.
Deswegen rief er die Artenschützer auf, ihre Ziele mit „Herz und Vernunft“ zu betreiben. Für Gegner der Windkraft hat Palmer so überhaupt kein Verständnis. Es gebe schlicht kein Argument der Windkraft-Gegner, das wirklich durchdringe.
„Ich könnte hier noch zwei Stunden weiterreden.“ Palmer war in Wart so richtig in Fahrt und die Gäste des Kongresses hätten dem Tübinger OB bestimmt gerne noch länger zugehört. Aber alles muss einmal ein Ende haben.