Sebastian Krämer unterhielt das Publikum in der Musikschule Calw. Foto: Stöß

Sebastian Krämer eröffnete die aktuelle Saison der Kleinen Bühne Calw. Vorweg gesagt: Es war mehr als eine Eröffnung. Es war bereits ein erster Höhepunkt.

Calw - Corona verhinderte den schon früher geplanten Auftritt des Wahl-Berliners. Diesen Künstler mit dem eigenwilligen Markenzeichen, einer verrückt gebundenen Krawatte. Doch nun war er endlich da. Der Klaviervirtuose bediente den Steinway-Flügel im voll besetzten Saal der Calwer Musikschule. Florian Fuchs, Vorsitzender der Kleinen Bühne Calw war sichtlich ergriffen, dass die Calwer den Saal so üppig füllten. "Während derzeit andere Veranstaltungen zu 40 Prozent abgesagt werden müssten. Eben, weil die Zuschauer wegbleiben", so Fuchs.

Und nun so eine Wucht an Programm, an Philosophie, feinem Gespür für Humor, Einiges angelehnt an die ganz gewöhnlichen Szenen des Alltags. Jedoch nur vermeintlich waren die Szenen banal, denn rasch entkleidete sich das Triviale und die Tiefen und die Verwundbarkeit des Lebens wurden gewahr. Es waren die Themen, die jeder von uns kennt und die deshalb jeder von uns wahrzunehmen in der Lage ist. Aber die keiner anderer so verwirrend beschreiben kann wie dieser Sebastian Krämer.

Nächste Sequenz

Welch eine Krämer-eigene Rhetorik, die das Ungesagte wie das Gesagte zum Nach- und Mitdenken anregte. Manches auch diffus, weil aus Krämers eigener Welt entsprungen. Eine Welt, die man als Außenstehender nicht sofort verstehen muss. Es war keine leichte Kost. Die Themen schwangen zwischen Alltäglichem und Gewaltigem. Und alles brillant und eloquent zelebriert.

Und es war kein Kabarett im eigentlichen Sinne, bei dem man nahezu jeden Satz mit einem Lacher und andauerndem In-die-Hände-Klatschen quittiert. War man durch Krämers Gestik, seiner geschliffenen Sprache und dem Gesagten stets aufmerksam, ohne zu leiden. Obwohl sich bereits in der nächsten Sequenz, manchmal sogar in ein- und demselben Lied, die Leichtigkeit in eine Qual verwandelte.

Krämers Programm bedeutete Philosophie am laufenden Band. Abwechselnd mit Tiefsinn, Humor, Sarkasmus, Ironie oder eben auch mit der herzzerreißenden Empathie und Sentimentalität, die notwendig ist, um einen Song wie "Patricks Zimmer" zu bieten. Der Name des Programms "Im Glanze der Vergänglichkeit" bekam mit der Dauer der Vorstellung immer mehr Gestalt.

Tatsächlich ein Witz?

Der Spannungsbogen, was noch kommen mag im zweistündigen Programm, wurde gerade durch Fragen wie "Was ist Trauer überhaupt?" sehr weit oben gehalten. Der Träger des deutschen Kleinkunstpreises und Gewinner vieler anderer Preise versteckte seine Pointen in wortgewaltigen Chansons. Interpretiert in einer Art und Weise, wie es nur wenige Künstler können. Krämer korrespondierte am laufenden Band mit seinem Calwer Publikum und war sich auch nicht zu schade, verstörend zu wirken. Vieles blieb ambivalent. Und das war gewollt. Er spielte geradezu mit der Aufmerksamkeit des Auditoriums. Nicht immer wollte man wissen, was er nun über seine Zuhörer zu denken wagt. Jeder im Saal war alleine gelassen in seiner Beurteilung, ob das eben Gehörte tatsächlich ein Witz war.

Krämer bezichtigte sich selbst eines "pointenfreien Geredes und Gelaberes" – nur um gerade so weiter zu labern. Zur Story aus der "eigenen Sturm- und Drangzeit" zog Krämer ein altes Heft aus dem Schulranzen, um Kafkas Verwandlung zu besingen. Zu Spitzwegs "armen Poeten" erinnerte er sich an seinen Mentor Christof Stählin. "Man kann ein gutes Lied nicht noch einmal schreiben, was schon geschrieben ist." War Krämer doch bei Stählins Akademie für Poesie und Musik in den 1990er-Jahren Schüler. Der Song war der Versuch, die deutsche Sprache vor dem Deutschunterricht mit ihren Deutschlehrern zu retten.

Die eingefleischten Krämer-Fans fühlten sich am Ende ebenso begeistert und belohnt wie jene, die sich auf dieses Abenteuer als Nichtswissende eingelassen hatten. Sie folgten damit auch hier Sebastian Krämers These "Nicht alles wird spannender, wenn man es schon vorher weiß".