Zeitgenössische klassische Musik – viele halten das für anstrengend. Das Klanglabor in Hechingen aber schafft es, die Herzen für die Gegenwart der Klassik zu öffnen.
Zeitgenössische Klassik statt Mozart und Beethoven – große Massen spricht so etwas eher wenig an. Dem Hechinger Klanglabor gelang es in den vergangenen fünf Tagen aber viele Konzertbesucher genau damit anzulocken. Sie waren teils von weither angereist, erlebten Kammermusik der Extraklasse und waren begeistert, wie der Beifall zeigte.
Schüler gestalten Mittwoch
Nach dem Auftakt am Mittwoch in der Stadthalle, wo Hechinger Schüler im Mittelpunkt standen, waren die folgenden drei Tage in der Alten Synagoge der Kammermusik gewidmet. Zum Auftakt war auch Bürgermeister Philipp Hahn gekommen. In seinem Grußwort drückte er den Stolz darüber aus, dass in der Zollernstadt ein so hochklassiges Festival stattfindet. Es ist das zwölfte Klang-Labor, das der aus Jungingen stammende Klarinettist Raphael Schenkel organisiert.
Hochrangige Musiker
Er hat Musiker für einen Auftritt im kleinen Hechingen begeistert, die sonst auf großer Bühne spielen. Dazu zählen unter anderem der Cellist Zvi Plesser von der Juilliard School New York, Guy Braunstein, Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, die Querflötistin und Komponistin Gili Schwarzmann, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Bühne in der Mitte
Außergewöhnlich gelungen war auch die Idee, die Musiker mitten im Saal spielen zu lassen. Das Publikum schaute ihnen so buchstäblich über die Schulter, konnte Blicke und Bewegungen der Musiker aus wenigen Meter Entfernung beobachten und die Klänge, die so erzeugt wurden, buchstäblich miterleben. „Zeitgenössische Kompositionen sind nicht so meins, aber das hier hat mir einen anderen Blick darauf eröffnet“, berichtete eine Zuhörerin am Konzertende begeistert.
Bewegende Uraufführung
Am Donnerstag stand das Gedenken des Weltkriegsendes vor 80 Jahren im Mittelpunkt. Mit dem kurzen „weiss/weisslich 17b“ von Peter Abling werden alle Zuhörenden durch Lautsprecherrauschen und einen brüchigen Geigenton in die Vergangenheit gezogen. Es war eine Uraufführung.
Die israelische Flötistin und Komponistin Gili Schwarzman hat sich in ihrem Klarinettenquartett „Hannah“ Erinnerungen ihrer Großmutter von der Seele geschrieben, die ihr diese erst kurz vor ihrem Tod erzählen konnte. Dass die Aufseher im KZ sie als Teenager zwangen mit anzusehen, wie ihre eigenen Eltern vergast wurden, erfuhr sie so. Die Komposition reflektiert den Blick eines Kindes auf Grausamkeiten, wie durch einen Nebel abgemildert.
KZ-Bericht verarbeitet
Die zwölfjährige Anna Klein interpretiert einen Satz aus Édouard Lalos Symphonie Espagnole. Auch Johannes Brahms‘ Klarinetten-Quintett wird an diesem Abend versetzt mit einem jugendlichen Blick in die Abgründe des Krieges. Die Achtklässler lesen zwischen den Sätzen Ausschnitte aus „Dank Dir habe ich überlebt“, ein Bericht über eine Flucht von Mutter und Tochter aus Auschwitz. Die Worte holen auch Brahms‘ „Abschied von dieser schönen Welt“ mitten hinein in die Alte Synagoge.
Komposition in Pink
Am Freitag zählte Antonin Dworaks „Amerikanisches Quartett“ noch zur gewohnten Klassik, alle anderen Stücke waren von zeitgenössischen Komponisten und Komponistinnen. Zu hören waren etwa Sarvenaz Afaris „Music, pink and blue“, und eine Komposition von Gili Schwarzmann, die auch als Querflötistin mit schwerelos-reinem Ton faszinierte.
Den Auftakt hatten zwei Sätze aus Olivier Messiaens „Quatouor pour la fin du temps“ gemacht, das er 1941 im KZ komponiert hatte, das Finale bildete „Violins of hope“ von Ohad Ben Ari, das vor zehn Jahren von den Berliner Philharmonikern zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in Auftrag gegeben wurde.
Auch der Samstag setzte auf Zeitgenössisches. Werke von Gideon Klein, Ben-Haim und Erich Wolfgang Korngold waren zu hören. Eine Komposition von Servenaz Safari erlebte hier ihre Uraufführung.