Heinrich Schwendemann, Professor an der Uni Freiburg, hat in Kippenheim über den Nationalsozialismus in Baden referiert. Foto: Schuh Foto: Lahrer Zeitung

Historiker Heinrich Schwendemann spricht in der ehemaligen Synagoge in Kippenheim über die NS-Zeit in Baden

Von Saskia Schuh Kippenheim. Vom "liberalen Musterland" zum "braunen Terror": Der Historiker Heinrich Schwendemann hat in Kippenheim über den Nationalsozialismus in Baden gesprochen. Zahlreiche Zuhörer verfolgten den spannenden Vortrag in der ehemaligen Synagoge. "Die Dynamik der Nationalsozialisten hat den Rechtsstaat in wenigen Wochen weggefegt", betonte der Geschichtsprofessor von der Universität in Freiburg.

Er referierte in Kippenheim über den Wandel vom "liberalen Musterländle", hin zum "Mustergau" mit Fackelzügen und Aufmärschen im Frühjahr 1933. Mit einem Programm gegen die Weimarer "Judenrepublik", den "Bolschewismus" und das Versailler "Schulddiktat" sowie der Verheißung "Arbeit und Brot für alle" sei die NSDAP in kürzester Zeit zur überkonfessionellen Volkspartei geworden.

Die jungen Mitglieder waren "gegen alles Etablierte" und zeigten viel Aktionismus in den Ortsgruppen. Selbst Nichtwähler mobilisierte die Partei. Eine Mischung aus Terror, Verhaftungen, Gleichschaltung und Anpassung, so Schwendemann.

Voraussetzung für den Aufstieg der Nationalsozialisten seit 1929 sei die Wirtschafts- und politische Krise in der Weimarer Republik, die zu einer "permanenten Radikalisierung geführt hätte. Trotzdem sei die Situation in Baden besonders gewesen.

Durch die Wirtschaftskrise waren die Verbindungen zum Elsass abgebrochen. Baden hinkte als entmilitarisierte Zone in der Entwicklung hinterher, denn die Industrie hatte dort nicht investiert. Es herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit, die allerdings durch die Selbstversorgung im landwirtschaftlich geprägten Gebiet abgemildert wurde.

"Wilde Lager" zur "Umerziehung"

Vor allem in ländlich protestantischen Orten war der "braune Terror" erfolgreich, katholische Gebiete und Städte wie Freiburg seien anfangs noch resistent gewesen. Allerdings habe die katholische Kirche die Machtübernahme erleichtert, als sie auf der Bischofskonferenz die Warnung vor der Partei offiziell aufhob, erklärt der Historiker.

Gauleiter Robert Wagner machte in Baden Staat und Partei zu einer festen Einheit. Der Sohn eines Landwirts aus Nordbaden war "rücksichtlos und brutal", hatte die SA im Griff und verhinderte Rivalitäten in der Partei. Die Radikalisierung wurde durch Notverordnungen gefördert. Es folgte eine Flut von Versammlungen, Propaganda und SA-Gewalt auf den Straßen. Am 5. März 1933 wählten in Baden 627 000 Menschen die NSDAP, die Wahlbeteiligung war hoch. Einen Tag später starteten die Nationalsozialisten eine Beflaggungsaktion der Rathäuser. Das offizielle Verbot der Regierung konnte nicht durchgesetzt werden. Am 31. März folgten Gleichschaltungsgesetze, welche die Verwaltungen neu ordneten. Zudem traten Bürgermeister freiwillig zurück oder wurden Mitglied der NSDAP. Auch führende Positionen in Vereinen wurden neu besetzt.

Schwendemann beleuchtete die Machtergreifung 1933 ebenso wie die Entwicklung von SA und SS sowie der Konzentrationslager als rechtsfreie Räume. Diese seien von der SA als "wilde Lager" zur "Umerziehung" politischer Gegner gegründet worden, in denen es früh erste Morde gab. Beispielsweise im KZ Ankenbuck bei Donaueschingen.

Nach seiner Analyse der Situation in Baden schilderte er die Situation in Haslach und Steinach im Kinzigtal, wo er geboren wurde und in der Stadt Freiburg. "Der Nationalsozialismus hat sich überall durchgesetzt", betonte Schwendemann. Auch in Steinach habe es am 31. März einen Fackelumzug der Ortsgruppe gegeben und im April wurde die heutige Badener Straße in Robert-Wagner-Straße umbenannt. In einem Dorf wie Steinach mit 500 Einwohner seien die großen Umzüge und Feste der Nationalsozialisten, beispielsweise die Nationalfeier am 1. Mai, wichtige Ereignisse geworden.

In Haslach, "Zentrum des braunen Terrors im Kinzigtal", waren 80 Prozent der 3100 Einwohner 1933 arbeitslos. Die Ortsgruppen starteten eine "Propagandawelle", Kommunisten oder Sozialdemokraten wurden verhaftet, Vereine und Verwaltung gleichgeschaltet. Fackelumzüge und Aufmärsche gab es beispielsweise auch in Lahr oder Dundenheim.

Fackelumzüge und Aufmärsche

In manchen Orten habe es Versuche des Widerstands gegeben, darauf folgten jedoch Verhaftungen und Terror. Der Widerstand wurde meist quasi im Keim erstickt. Schwendemanns Großvater sei beispielsweise Ratschreiber in Steinach gewesen und entlassen worden, da er die nationalsozialistische Flagge nicht grüßen wollte.

In Freiburg sorgte der "Zwischenfall" Christian Daniel Nußbaum für die Radikalisierung des braunen Terrors. Als der SPD-Politiker am 17. März 1933 bei einer Durchsuchung seiner Wohnung in Panik geriet und daraufhin zwei Polizisten niederschoss, nutzten die Nationalsozialisten das "furchtbare Marxistenverbrechen" zur Eröffnung des Terrors gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftler.