Krachlederne sind längst nicht mehr nur in Bayern ein Hit. Foto: Ebener

Auch im Kinzigtal ist das Oktoberfest Kult. Was Tracht heute bedeutet, weiß Thomas Hafen vom Vogtsbauernhof.

Mittleres Kinzigtal - Es gibt wohl kein Fest, das mit so vielen Superlativen geschmückt wird, wie das Oktoberfest. Längst boomt der bayerische Kult auch im Kinzigtal. Der SchwaBo hat Experten befragt, was das Fest zu einem Inbegriff der "Heilen Welt" werden lässt.

"Wir sehnen uns nach etwas Schönem", sagt Thomas Hafen, wissenschaftlicher Leiter des Freilichtmuseums. Angesichts der weltweiten Nachrichtenlage sei das auch kein Wunder. Keiner schalte gerne nach Kriegsreportagen und Finanzsorgen den Fernseher aus. Danach wollten die Zuschauer etwas Positives sehen.

Und wem dürften die Bilder von bildhübschen Frauen im Dirndl und von charismatischen Männern in der Krachledernen denn nicht gefallen? Betrunkene, die sich kaum noch auf den eigenen Beinen halten können, machen sich da nicht so gut. Die gut gemeinte Berichterstattung habe geholfen: "Das Oktoberfest ist ein bundesweit anerkanntes Synonym für die Partykultur", sagt der Kulturforscher.

Doch als er "bundesweit" sagt, kommt ein weiterer Gedanke auf: Selbst in Düsseldorf laufen heutzutage Frauen in der bayerischen Tracht herum. "An einem Abend tragen sie ein Dirndl, am nächsten sind sie auf einer Kostümparty, und kleiden sich als Indianerin", bemerkt Hafen. Das zeige, wie beliebig das alles geworden sei. Auf diese Weise hätte so einiges seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Ein anderes Beispiel: Das Tragen einer Lederjacke sei längst nicht mehr den Rockern vorbehalten. Auch ein ganz gewöhnlicher Rentner kann sich in so einer Jacke wohlfühlen – und der Rocker zieht vielleicht etwas ganz anderes an.

Die Kulturwissenschaftler hätten das schon vor Jahren bemerkt. Wegen der Globalisierung passten sich die Lebens- und die Kleidungsstile immer weiter an. Wer früher ein Janker trug, musste aus Bayern kommen. Heute könne das keiner mehr so genau sagen, erklärt der Experte.

Tradition ist laut Hafen sehr eng mit der Mode verwandt. Beide drückten eine gewisse Identität aus, und beide seien der Versuch, sich abzugrenzen. So fühlte sich der Rocker einst wohler unter seinesgleichen, grenzte sich aber mit seiner Kluft absichtlich von Anderen ab.

Trägt ein Kinzigtaler also eine "fremde" Tracht – drückt er dann eine fehlende Ortsbezogenheit aus oder eine generelle Offenheit für das Fremde? "Es ist beides", sagt Hafen. Den Reiz, sich ganz bayerisch zu kleiden, könne er aber verstehen: "Das drückt einen Urtrieb des Menschen aus. Es ist eine Einladung, aus der eigenen Haut zu gehen." Schon als Kinder hatten es beispielsweise erwachsene Männer geliebt, sich als Indianer zu verkleiden. Ganz miteinander zu vergleichen sei es aber nicht, weil der Erwachsene nur das Kostüm wechselt. Für das Kind sei es schon der Versuch, sich in eine andere Zeit einzuleben, sich mit ihr auf eine gewisse Weise zu identifizieren.

Und ist es nun schlimm, wenn der Kinzigtaler bayerische Tracht trägt? Das gehe janicht das ganze Jahr so, ist Hafen überzeugt. Die eigene Tracht, wie beispielsweise der Bollenhut, werde deswegen nicht aussterben. Er werde nur in Gutach, Hornberg und Kirnbach getragen. Und so stehe er weiter für seine besondere Geschichte.