Julian Haagen (von links) und Lars Reutter befragten Gotthilf Lorch, der mit seiner Assistentin Dagmar Dubell angereist war. Foto: Möller

Gotthilf Lorch macht sich für die Belange von Behinderten stark. "Ich werde weniger beschimpft".

Kinzigtal - Er hat praktisch keine Chance in den Bundestag einzuziehen und ist dennoch voll engagiert – vor allem wenn es um die Belange von Behinderten geht. Gotthilf Lorch macht im Rollstuhl sitzend für "Die Linke" Wahlkampf und hat sich den Fragen unserer Zeitung gestellt.

Herr Lorch, Sie sind mit dem Auto angereist. Auch weil sie Barrieren an Bahnhöfen vermeiden wollten?

Ich muss gestehen, dass ich nicht mal weiß, ob es in Haslach überhaupt einen Bahnhof gibt. Und wenn ist er wahrscheinlich nicht für mich nutzbar, da er nicht barrierefrei ist, wie es leider meistens im ländlichen Raum der Fall ist.

Barriefreheit beschäftigt Sie generell sehr stark.

Ich bin Inklusionsberater und gebe Menschen mit Behinderungen Tipps, wie sie selbstständig leben können. Zum Beispiel mit Assistenten in einer eigenen Wohnung oder in der Familie. Oft muss das bei den Behörden eingeklagt werden, dabei helfe ich. Sich um Barrierefreiheit zu kümmern, gehört auch dazu, wie man im örtlichen Umfeld mit oder ohne Pflastersteinen zurecht kommt, wo man barrierefrei einkaufen kann oder wo man Toiletten findet. Das ist meine tägliche Arbeit und beschäftigt mich auch persönlich.

Das Thema geht aber nicht nur Behinderte an.

Stimmt, man geht davon aus, dass für zehn Prozent Barrierefreiheit absolut nötig ist, für etwa 20 Prozent ist es nicht ganz so dringend, sie könnten aber vieles einfacher handhaben, für den Rest ist es einfach bequemer. Zum Beispiel ist es für jeden vorteilhaft, wenn er mit seinem Gepäck am Bahnhof keine Barrieren überwinden muss. Außerdem wird die Gesellschaft immer älter. Daher ist es dringend geboten, möglichst überall Barrierefreiheit zu schaffen.

Im Rollstuhl sitzend, ist es sicherlich schwierig, Wahlkampf zu führen. Welche Probleme haben Sie?

Es ist schwierig, finanzierbare und bezahlbare Veranstaltungsräume zu finden. Wobei es auch viel zu wenige finanzielle Mittel gibt, Veranstaltungen für Gehörlose zu machen. Daher fordern wir Linke, dass Gebärdendolmetescher bei Wahlkampfver- anstaltungen von der öffentlichen Hand finanziert werden. Schließlich soll sich jeder informieren können.

Haben die Leute nach Ihrem Eindruck Schwierigkeiten auf Sie zuzugehen?

Das ist ganz unterschiedlich. Im Straßenwahlkampf sind die Leute oft irritiert, wenn ich sie anspreche. Das hat aber für mich oft den Vorteil, dass sie mir häufig die Informationsmaterialien schnell abnehmen. Auch kommen die Leute oft an die Stände der Parteien und schimpfen, das ist ganz normal. Ich werde dagegen aufgrund meiner Behinderung weniger beschimpft. Die Kehrseite ist, das ich auch seltener aktiv angesprochen werde.

Sie sind erst vor fünf Jahren in die Partei eingetreten, warum fiel ihre Wahl gerade auf "Die Linke"?

Das hat wiederum etwas mit meiner Behinderung zu tun. Ich war mein ganzes Leben Kämpfer für eine barrierefreie Welt und für Behinderte. Dabei dachte ich lange, es sei besser parteineutral zu sein. Noch als Nicht-Mitglied habe ich dann die Arbeitsgemeinschaft "Selbstbestimmte Behindertenpolitik" mitgegründet. Später habe ich gemerkt, dass die Linke unsere Themen wirklich ernst nimmt, und dass man aus der Partei heraus mehr erreichen kann.

Die anderen Parteien nehmen ihrer Meinung nach die Behinderten-Themen nicht ernst?

Ähnliche Gruppierungen, wie bei uns, gibt es auch bei den Grünen und der SPD. Aber die FDP und die bei uns große CDU haben überhaupt nichts in die Richtung und nehmen das Thema nicht ernst. Diese beiden haben auch immer noch das Denken, für Behinderte, etwas zu machen, heißt eben für sie etwas zu tun, während wir sagen, dass man in erster Linie mit Behinderten und nicht über ihre Köpfe hinweg etwas machen darf.

Sie machen Wahlkampf, obwohl Sie selbst höchstwahrscheinlich nicht in den Bundestag kommen. Warum tun Sie sich das an?

"Die Linke" hat für mich einfach die richtigen Themen. Beispielsweise in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Meine persönliche Intention ist darüber hinaus, die Behindertenthemen "zu pushen". Aber auch Energiepolitik ist mir wichtig oder dass meine Partei mittlerweile als einzige Kriegseinsätze völlig ausschließt und nur humanitäre Hilfe befürwortet.

Wie gut kennen Sie als gebürtiger Calwer und nun Wahl-Tübinger eigentlich das Kinzigtal?

Ich kenne das Kinzigtal leider so gut wie gar nicht.

Nun ist das Kinzigtal aber ein Teil ihres Wahlkreises, inwieweit haben sie sich schlau gemacht?

Das ist schwierig, da mein Wahlkreis auch ohne das Kinzigtal schon riesig und unüberschaubar ist. Aber ich werde beispielsweise durch Medienanfragen auf Themen gestoßen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptprobleme der Region?

Beim öffentlichen Nahverkehr müsste noch viel gemacht und viel mehr investiert werden. Ein weiteres Problem sind Schulen. Hier sind wir von der Linken absolut für Gesamt- und Ganztagsschulen. Natürlich ist aber klar, dass die ganz kleinen Schulen da Schwierigkeiten haben. Da muss man dann schauen, wo man Schulen sinnvoll zusammenlegen kann. Allerdings dürfen die Wege auch nicht zu lang werden.

Was ist Ihre Position in Sachen Energiewende?

Ich bin sehr dafür und kann nicht verstehen, wenn man als Bürgerinitiative dagegen vorgehen kann. Denn ansonsten bleibt nur Atomstrom und Kohle – das sind beides keine Alternativen für mich. Man sollte im Zuge der Energiewende aber auch nicht zu viel Natur zerstören. Auch bin ich gegen Förderung von Sonnenkollektoren, jahrelange Preisbindung, die Energie teuer und für manche nicht finanzierbar machen sowie gegen große Stromtrassen. Energie sollte vor Ort hergestellt und betreut werden.

Hier herrscht praktisch Vollbeschäftigung und der Wohlstand ist groß, mit welchen Themen wollen Sie als Linker hier punkten?

Es ist gut, dass es den Leuten hier größtenteils gut geht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass hier keine Leute wohnen, die am Existenzminimum leben. Auch Alleinerziehende wird es hier geben, die keine Arbeit finden, weil sie nicht so flexibel sind.

Sie selbst waren auch schon arbeitslos, was für ein Gefühl war das damals?

Mit Behinderung eine Arbeit zu finden, ist generell schwer. Das Arbeitsamt konnte mir nicht helfen. Daher habe ich mich selbst geregt und bewegt und fünf ABM-Maßnahmen durchlaufen. Mir diese selbst besorgt zu haben, war ein gutes Gefühl. Doch insgesamt war es ein schlechtes Gefühl, keinen sicheren Job zu haben.

Sie kennen also die Probleme von Arbeitslosen.

Es gibt nichts Schlimmeres als Arbeitslosigkeit, weil man keine Perspektive hat und gar nichts planen kann. Durch das verruchte Hartz IV wurde alles noch schlimmer, da viele Jobs wegrationaliert wurden und die gleiche Arbeit wieder als Ein-Euro-Job zu haben war. Auch gibt es immer mehr prekäre Jobs, bei denen kaum was verdient wird. Dann muss man doch noch zum Jobcenter rennen, weil das Geld eben nicht reicht und dort aufstocken muss. Das ist vor allem psychisch eine sehr grausame Sache.

Zehn Euro Mindestlohn, höheres Hartz IV, eine Mindestrente von 1500 Euro und vieles mehr fordern Sie – wie soll das denn ihrer Meinung nach alles finanziert werden?

Wir fordern die Millionärsteuer in Höhe von fünf Prozent. Auch wollen wir den Spitzensteuersatz wieder auf 53 Prozent und auch die Körperschaftssteuer anheben. Allerdings bin ich jetzt nicht der Wirtschaftsexperte der Partei. Aber so kann man wieder auf eine gute Schiene kommen.

Persönlich engagieren Sie sich für Behinderte in Rumänien, wie wichtig ist Ihnen Europa beziehungsweise die Europäische Union?

Die Europäische Union kann dabei helfen, Sachen gerade zu biegen. So zum Beispiel bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, wo Deutschland nicht so gut aufgestellt ist, wie viele denken. Außerdem ist der Euro einfach bequem, wenn man viel auf Reisen ist.

Wenn es gilt weitere Milliarden für Griechenland und Co. zu bewilligen, würden Sie persönlich also mit Ja-Stimmen?

Ja und Nein. Nein, wie es bis jetzt gemacht wird. Da das Geld der Bevölkerung zu Gute kommen und nicht für den Schuldenabbau verwendet werden sollte.

Wenn eine gute Fee Ihnen einen Wunsch erfüllen würde, welcher wäre das?

Auf gar keinen Fall nicht behindert zu sein, da das meine Persönlichkeit auch verändern würde. Daher einfach ein langes, gesundes und zufriedenes Leben.

Und in Bezug auf die Bundestagswahl?

Eine politische Beteiligung der Linken. Allerdings nicht in einer Koalition mit Grünen und SPD, sondern in Form einer von uns geduldeten Minderheitsregierung. Auf diese Weise müssten wir uns auch in der Friedensgeschichte nicht zu sehr verbiegen.