Der Ex-US-Präsidentschaftskandidat Al Gore (2. v. li.) informiert sich rund um den Globus bei den ersten Opfern des Klimawandels. Foto: Paramount

In seinem zweiten Dokumentarfilm „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“, der jetzt im Kino startet, warnt Al Gore erneut vor dem Klimawandel. Als das Projekt entstand, mochten sich die Macher Donald Trumps Politik aber noch nicht einmal ausmalen.

Stuttgart - Der große Regen ist gekommen. Und die USA werden nicht fertig mit ihm. Die Bilder vom raschen Zusammenbruch der Infrastruktur haben etwas Archaisches, Biblisches: Die Elemente, vermeintlich gezähmt, erschienen plötzlich wieder als Werkzeuge göttlichen Zorns. Aber was da im Dokumentarfilm „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“ ab Donnerstag auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen sein wird, sind noch gar keine Bilder von Hurrikan Harvey. Es ist nicht die Flut von Texas, durch die Al Gore, der einstige Vizepräsident der USA, hier stapft. Es ist eine der Fluten, von denen Miami nun regelmäßig heimgesucht wird. Man darf angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Realität Gores Film überholt hat, schon Gänsehaut bekommen.

Nach seinem gescheiterten Anlauf, Bill Clintons Nachfolger als US-Präsident zu werden, warf Gore sich Anfang des Jahrtausends ganz in den Kampf für den Klimaschutz. Er reiste mit einer Diapräsentation voller Katastrophenszenarien durch die Welt, die 2006 zum Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ ausgebaut wurde. Deb brachte der Branchenriese Paramount höchst erfolgreich ins Kino, letztendlich gewann er sogar einen Oscar. Für „An inconvenient Truth“, so der Originaltitel, arbeiteten Gore und der Regisseur Davis Guggenheim mit Tricks, um dem Publikum die Flutgefahr für die Großstädte auch der USA vor Augen zu führen. Für die Fortsetzung braucht es nun keine Animationen mehr. Die Kamera kann nie zuvor gekannte Überschwemmungen jetzt direkt abgreifen. Neben Harveys Verwüstungen wirken diese Fluten fast schon wieder harmlos.

Rund um den kriselnden Globus

Natürlich sind sie das nicht. Wir sehen Al Gore rastlos auf Tour rund um einen kriselnden Globus, im dahinschmelzenden arktischen Eis, bei Menschen in ärmeren Regionen, die den zum Dauerzustand werdenden Naturkatastrophen noch viel schutzloser ausgeliefert sind als US-Bürger. Wir erleben Gore als Ausbilder, wie er jungen Menschen zu selbstlosen Handelsreisenden seiner Klimaideen machen möchte, und wir bekommen den Netzwerker Gore zu sehen, der beim Pariser Klimagipfel hinter den Kulissen für einen entscheidenden Durchbruch sorgt – zumindest suggeriert das dieser Film.

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Manchem Europäer werden diese am Personenkult entlang schrammenden Bilder unbehaglich sein. Gore ist viel von hinten zu sehen, mal im Hochwasser, mal in den Korridoren der Macht, verfolgt von einer Kamera, die andeuten möchte, mit der Dynamik des mittlerweile Neunundsechzigjährigen kaum mithalten zu können. Das darf man Wahlkampf-Spot nennen.

Inhaltlich hat der von Bonni Cohen und Jon Shenk inszenierte Film nichts Neues zu bieten. Er mahnt wie der Vorgänger, dass der Planet drauf und dran sein könnte, uns abzuschütteln, dass unser bedenkenloser Umgang mit der Umwelt Konsequenzen heraufruft, denen wir nicht gewachsen sein werden. Nur die Uhr ist weiter vorgerückt: mahnte der Vorgängerfilm“, es sei fünf vor Zwölf, so klingt dieser eher nach fünf Sekunden bis zum Ende unserer Eingriffsmöglichkeiten.

Ermutigungsoffensive in letzter Sekunde

Aber etwas ist deutlich anders in „An inconvenient Sequel: Truth to Power“: Gore wird nicht bloß als Mahner, sondern als Macher ins Bild gerückt. Da er wohl nicht mehr selbst bei Wahlen antreten wird, darf man ihn als Platzhalter einer Ermutigungsoffensive begreifen: Wählen wir die richtigen Menschen mit dem richtigen Problembewusstsein und den passenden Lösungsansätzen, so Gore, lässt sich noch etwas retten.

Das wäre spannender und bissiger, ginge dieser Film die Klimaleugner um Donald Trump frontal an. Aber Gores zweites Kinoprojekt ist entstanden, als Trump noch ein wirtschaftskrimineller Politclown für die dümmsten zwei Prozent der Nichtwählerschaft zu sein schien. So kommt der Mann mit dem Credo, die Klimaerwärmung sei eine Erfindung, im Film am Rande vor, als Vertreter einer nun gewisslich als indiskutabel entlarvten Position. „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“ ist als Wegbereiterfilm für eine aufgeklärte Post-Obama-Ära angelegt, in anderen Worten: das zugleich rührende und quälende Memento geplatzter Illusionen. Auf Trumps massenwirksame Brachialignoranz kann der Film nur mit einem angeklebten Text am Ende reagieren, Motto: Jetzt erst recht, Man kann sich von diesem Pathos wohl ergreifen lassen. Aber man kann auch schauern angesichts der Hilflosigkeit vorm neuen Politerfolgsmodell der unablässigen Lüge und Faktenverneinung.

Immer noch eine unbequeme Wahrheit. USA 2017. Regie: Bonni Cohen, Jon Shenk. Dokumentarfilm. 98 Minuten. Ab 6 Jahren.