Freiburg - Es ist der blanke Horror für Eltern: Da schicken sie ihre Kinder in einen Sportverein oder eine kirchliche Jugendgruppe im berechtigten Glauben, dass den Kindern dort nur Gutes widerfährt. Doch dann kommt alles ganz anders: Pädophile Straftäter nutzen Vereine und Institutionen, um sich an potenzielle Opfer heranzumachen. Was können Institutionen und Eltern tun, um Missbrauch entgegen zu treten? Nils Vogelsang von der Beratungsstelle Wendepunkt in Freiburg hat die Antworten.

Herr Vogelsang, der aktuelle Missbrauchsfall in Staufen hat sich zumindest teilweise bei den evangelischen Pfadfindern zugetragen. Die Taten dort liegen recht lang zurück. Die Kirche sagt, dass man als Institution heute sensibler sei im Umgang mit dem Thema Missbrauch und den Verdächtigen vielleicht gar nicht erst eingestellt hätte. Wie sehen sie das aus der Warte des Opferberaters?

Ich sehe da noch immer einen sehr großen Nachholbedarf: Viele Träger in der Jugendarbeit tun sich nach wie schwer, von ihren ehrenamtlichen Bewerbern ein erweitertes Führungszeugnis einzufordern, mit dem man einschlägig vorbestrafte Personen ausschließen könnte. Sie wollen Ehrenamtliche nicht unter einen Generalverdacht stellen, indem sie das Zeugnis einfordern. Das kommt bei Institutionen und teilweise auch bei den Ehrenamtlichen tatsächlich so an, und das ist eine Schwierigkeit. Wie erleben aber auch, dass sich Institutionen und Vereine in der jüngeren Vergangenheit verstärkt bei uns melden und Schutzkonzepte erarbeiten wollen. Es könnten aber noch mehr Interessenten sein.

Kann man denn bestimmte Vereine und Institutionen benennen, die besonders anfällig für potenzielle Täter als Mitarbeiter sind?

Attraktiv für Täter sind vor allem Organisationen, in denen Kinder und Jugendliche betreut werden und in denen es keine klaren Schutzstrukturen gibt. Da werden dann Betreuer eingesetzt, weil sie einen netten Eindruck machen und gut mit Kindern umgehen können. Es heißt dann einfach "mach mal“, der Kinderschutz wird so larifari behandelt. Da haben Täter dann ein leichtes Spiel.

Soweit man bisher einschätzen kann, könnte es vor zehn Jahren bei den evangelischen Pfadfindern in Staufen ja genau so passiert sein. Was können denn die Eltern tun, um ihre Kinder vor solchen Angreifern in Jugendgruppen zu schützen? 

Man kennt ja diese Warnhinweise: Steig in kein fremdes Auto, nimm von Fremden keine Bonbons an und so weiter. Das sind alles Botschaften, die sich auf Fremde konzentrieren, während 90 bis 95 Prozent der sexuellen Missbrauchsdelikte eben nicht von Fremden sondern im sozialen Umfeld begangen werden. Botschaften wie "Du darfs zu einer unangenehmen Berührung nein sagen" oder "Du darfst ein schlechtes Geheimnis weitersagen" sind effektiver. Das große Problem ist: die meiste Zeit mag so ein Täter ja ein netter Kerl sein. In der Regel mögen die Kinder die Täter, es gibt ein Vertrauensverhältnis. Das ist zunächst positiv. Dann kommt der Missbrauch dazu. Die Folge ist eine immense Verwirrung, weil das Opfer den Täter weiterhin mag. Das ist eine kaum auszuhaltende Situation, die später oft zu Schuldgefühlen führt, weil man nichts gesagt hat. Ich finde es deshalb sehr wichtig, dass man feststellt, dass die Schuld an den Taten immer bei den Tätern liegt. Nicht bei den Opfern und nicht bei den Eltern, die sich fragen, was sie vielleicht falsch gemacht haben könnten.

Info: Zur Person

Nils Vogelsang ist Geschäftsführer der Beratungsstelle Wendepunkt in Freiburg, die sich gegen den sexuellen Missbrauch an Jungen und Mädchen einsetzt. "Wendepunkt" ist im neuen Staufener Missbrauchsfall von der evangelischen Kirche in Baden als Ansprechpartner für mögliche weitere Opfer aktiv und telefonisch unter 0761/7071191 und über die Homepage erreichbar.