Das Kindersolbad (Haus Hohenbaden) war eines der großen Kinderverschickungsheime im Südwesten. Träger war das Badische Rote Kreuz, das versuchte die Geschichte des Hauses aufzuarbeiten. Foto: Marc Eich

Nach Angaben der Initiative Kinderverschickung gab es von den 1950er bis in die 1980er Jahre zwischen acht und elf Millionen Kinderverschickungen. Viele Kinder haben keine guten Erinnerungen daran. Nun will sich die Bundesregierung dem Thema annehmen.

„Wir haben es geschafft: Unsere Forderung nach Aufarbeitung der Kinderverschickungen ist Teil des Regierungsprogramms geworden und unser Anliegen klar benannt“, so die Pressemitteilung des Vereins Initiative Kinderverschickung.

 

In Zeile 3212/3 heißt es: „Wir unterstützen die Aufarbeitung der Misshandlungen von Kindern bei Kuraufenthalten zwischen 1950 und 1990 durch die Initiative Verschickungskinder. Damit ist für uns, die Initiative Verschickungskinder, nach sechs Jahren ein großer Schritt gelungen: Endlich bekennt sich auch die Bundesregierung zu ihrer Verantwortung für die Geschehnisse und die notwendige Aufarbeitung“, freut sich das Vorstandsgremium.

Dieser Schritt, dass die Bundesregierung tätig wird, war ein Teil der Bad Kreuznacher Erklärung des Bundeskongresses der Verschickungskinder vom 22. November 2024. Darin heißt es: „Für die Unterstützung und Vernetzung der ehemaligen Verschickungskinder, die in großer Zahl Opfer von seelischen und körperlichen Misshandlungen wurden, fordern wir die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle auf Bundesebene, beispielsweise angegliedert an den Zuständigkeitsbereich der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.“

Teil der Bad Kreuznacher Erklärung

In der Erklärung war man der Überzeugung, dass sich diese Forderung, da die organisatorischen Voraussetzungen bereits gegeben seien, mit geringen finanziellen Mitteln in den Rahmenbedingungen des neuen Bundeshaushalts umsetzbar sei. „Ein notwendiger erster Schritt.“ Die Initiative benötige demnach Förderung der Vernetzung, psychosozialen Beratung und Bürgerforschung, insbesondere durch die Einrichtung eines digitalen Informations- und Dokumentationszentrums, so die Forderung.

Die Teilnehmer appellierten an alle demokratischen Parteien, dies in ihr Wahlprogramm und nachfolgend in einen Koalitionsvertrag und ein Regierungsprogramm aufzunehmen.

Für Initiative wichtiger erster Schritt

In den nächsten Monaten will die Initiative Kinderverschickung das Gespräch mit der neuen Bundesregierung suchen, um geeignete Wege zur Umsetzung zu finden, erklärt Anja Röhl auf Nachfrage. Das sei ein großer Schritt für den Kinderschutz in Deutschland, und es sei ein wichtiges Zeichen für die Betroffenen. „Endlich werden wir gehört, endlich wird uns geglaubt.“

Für die Initiative ist die Aufnahme des Anliegens in den Koalitionsvertrag ein sehr wichtiger erster Schritt. Denn bisher habe die Bundesregierung die Zuständigkeit für die Aufarbeitung der Kinderverschickungen an die Länder weitergegeben und damit ihre Verantwortung wie eine „heiße Kartoffel“ hin und hergeschoben, erklärt der Vorstand in einer gemeinsamen Erklärung.

Gespräch suchen mit Familienministerium

„Wir werden, sobald die neue Bundesregierung konstituiert ist, das Gespräch mit dem zuständigen Familienministerium suchen, um gemeinsam nach geeigneten Wegen zu suchen, um die Aufarbeitung auch auf Bundesebene voranzubringen. Aus unserer Sicht ist das Wichtigste, die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle.“ Außerdem gehöre dazu auf der einen Seite die Unterstützung der Bürgerforschung der vielen Engagierten in den Heimortgruppen und Landesgruppen, wie beispielsweise durch Schaffung eines digitalen Dokumentationszentrums.

Ob die Tage in der Kinderkur wirklich so unbeschwert waren ist fraglich. Foto: dpa/Privatfoto

Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass man Unterstützung bei der Vernetzungs- und Selbsthilfe-Arbeit bekomme, hier wird das Beispiel einer Webseite genannt, informieren Anja Röhl, Christiane Dienel und Uwe Rüddenklau.

Gesellschaftlich-historische Aufarbeitung

Es gehe dabei auch um eine konkrete gesellschaftlich-Historisch Aufarbeitung, in dem die Forschung unterstützt werde. Nach eigenen Angaben ist der größte wissenschaftliche Bestand aller bisherigen Studien vorhanden, dabei erhielt man Unterstützung des Nexus Instituts. Den Fragebogen haben mittlerweile 15 000 Personen ausgefüllt. „Diese Untersuchung benötigt eine qualitative Auswertung“, erklärt Röhl auf Anfrage.

Forschungsbedarf ist vorhanden

Konkret hofft die Initiative Kinderverschickung darauf, dass die Bürger-Recherche unterstützt wird. In etwa 100 Heimortgruppen haben sich den Angaben zufolge jeweils 100 bis 200 Betroffene zusammengetan, um nach Heimen und Zusammenhängen zu forschen.

Zudem sie ein extremer Forschungsbedarf vorhanden, da 50 Jahre lang nicht zu diesem Thema jemals erforscht wurde. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die bis zu elf Millionen möglichen Kinderverschickungen in den Jahrzehnten der Praxis. „Die Ursachen müssen analysiert werden, so dass wir Kriterien entwickeln können, das so etwas nie wieder vorkommt“, erklärt Anja Röhl.