Ohne Job wird bei der Arbeitsagentur keiner weggeschickt – denn in Stutengarten gibt es viel zu tun. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Stutengarten hat seine Tore geöffnet. Bereits zum zehnten Mal gestalten Kinder hier urbanen Alltag. Zum Beispiel bezahlen sie mit dem Stuggi, der Kinder-Taler wird auf dem Terrain des Reitstadions sogar von der BW-Bank akzeptiert.

Bad Cannstatt - Die Schlange vor der Agentur für Arbeit ist lang, die Stimmung freudig gespannt. In Stutengarten, das am Montag zum zehnten Mal seine Tore öffnete, ist die Jobsuche ein Kinderspiel. Jeder wird eine Stelle bekommen – ob bei der Allianz-Versicherung oder am Pizzastand, bei der Post, in der Musikschule oder der Schreinerei. Berufswünsche können in der Regel erfüllt werden. Mehr als 70 Professionen stehen zur Wahl. Die Bezahlung ist überall gleich. Julian Lee möchte gern wieder in der Werbeagentur tätig werden. „Ich war letztes Jahr zum ersten Mal hier, und es hat mir so gut gefallen, dass ich   unbedingt wiederkommen musste“, schwärmt der Zehnjährige mit leuchtenden Augen. Besonderen Spaß hat ihm neben der Erstellung von Vorlagen am Computer der Verkauf von selbst designten Buttons gemacht. Offizielle Währung ist der „Stuggi“. Er wird auf dem Terrain des Bad Cannstatter Reitstadions sogar von der BW-Bank akzeptiert. „Dort hat man Stutengarten inzwischen fest in das Ausbildungskonzept eingebunden“, freut sich Projektleiterin Ulrike Weinz, die das urbane Treiben mit ins Leben gerufen hat. „Die Bank schickt ihre Azubis hierher, damit sie die Filiale mitbetreuen.“ Zinsen gibt es übrigens auch. Sie liegen im Bereich von zehn Prozent.

500 Kinder auf dem Gelände des Reitstadions

Auf der Polizeiwache sitzt ebenfalls eine echte Beamtin: „Ich weiß gar nicht recht, was mich hier erwartet“, gesteht Michaela Theil. Sie hat sich freiwillig gemeldet und ist neugierig auf ihren Einsatz unter den jungen Bürgern. Noch ist die Lage ruhig. Die 500 Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren und die 120 Helfer, die die Stadt je eine Woche lang bevölkern, sind noch mit dem ersten Erkundungsgang beschäftigt. So kann sich die Polizistin in Ruhe mit Marie (17) und Lisa Marie (18) unterhalten, die in der ersten Woche als jugendliche Betreuer für Recht und Ordnung sorgen. „Ich dachte, das sei alles viel kleiner“, zeigt sich Letztere beeindruckt. „Das Gelände ist schon beeindruckend. Es gibt ja sogar einen Minigolfplatz, eine eigene Müllabfuhr, einen Wertstoffhof, und ich glaube, auf dem Rathaus kann man sogar heiraten.“

Am Nachmittag wird der Bürgermeister gewählz

In jedem Fall soll der Sitz des Bürgermeisters, der am Nachmittag gewählt wird, ein neues Dach bekommen. Zimmermann Oliver Dundiew wird es gemeinsam mit jungen Mitarbeitern bauen. Ein Stoß Baumstämme liegt bereit. „Die Idee kam uns letztes Jahr, als im Architekturbüro von Stutengarten Entwürfe für ein Rathausdach gemacht wurden“, erinnert er sich. „Ich hatte damals ein bisschen mitgeholfen, die Hütten aufzubauen. Jetzt wollen wir das Projekt umsetzen.“ Zur Unterstützung hat sich Dundiew mit Burkhard Behrends einen fahrenden Handwerksgesellen ins Boot geholt. Er kann den Kindern berichten, wie das Leben auf der Walz abläuft – aus erster Hand. „Es ist uns wichtig, dass jemand die Berufe vertritt, der wirklich für sein Tun steht“, betont Ulrike Weinz. „So erleben die Kinder die Arbeit ganz anders, als wenn ihnen angelesenes Wissen vermittelt würde.“ „Ich denke, dass die Teilnehmer auf echte Experten treffen, ist Teil des Erfolgsrezepts“, pflichtet Gottfried Strayle bei. Der Zahnarzt leitet die Praxis Dr. Paula Zahn, die in der Spielstadt bereits seit sieben Jahren für saubere Beißer sorgt. Gerade sind die ersten Helfer eingetroffen. Viel früher als erwartet und voller Tatendrang. Sie werden den Kunden in den kommenden Tagen unter anderem bei einem Plaque-Test assistieren. Dieses Angebot wäre sicher auch für Erwachsene attraktiv. Doch die Großen müssen draußen bleiben: Vor den Toren der Stadt ist ein Elterngarten eingerichtet.