Südafrika hat die höchste Kriminalitätsrate weltweit. Besonders Frauen und Kinder sind betroffen. Ein Besuch in einem Kinderheim.
Als sich die Türen des Kinderheims öffnen, strömen rund ein Dutzend Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren heraus. Sie lachen, wirken glücklich, sind ausgelassen. Von den Misshandlungen, die viele von ihnen durchmachen mussten, ist ihnen nichts anzumerken.
„Die Kinder hier haben viel Gewalt erlebt, auch sexueller Art“, sagt Sozialarbeiterin Hayden Damon später. Die junge Frau trägt einen langen, schwarz-weißen Rock, schwarze Sandalen und ein dunkles T-Shirt. „Alles, was sie jetzt brauchen, ist ein fürsorgliches Zuhause“, sagt die 24-Jährige mit einem Lächeln auf den Lippen.
Mit dabei ist Judith Hill. Sie ist die Schatzmeisterin von Hope and Light, der gemeinnützigen Organisation, zu dem das Kinderheim gehört. Hope and Light befindet sich im Sir Lowry’s Pass, einem Gebirgspass in der Provinz Westkap in Südafrika, 50 Kilometer südöstlich von Kapstadt. Auch eine Schule und ein Kindergarten, rund fünf Autominuten voneinander entfernt, sind Teil des Hope and Light, das im Jahr 2004 als Suppenküche begann. Gegründet wurde die Organisation von der deutschen Auswanderin Barbara Tofaute und ihrem Ehemann. Mittlerweile ist das Ehepaar verstorben, doch sein Projekt lebt weiter.
Im ersten Stock des Kinderheims befindet sich ein Klassenzimmer. Selbstgebastelte Bilder zieren die Wände. Auf Postern stehen handgeschriebene Regeln, sie handeln von Respekt und Ehrlichkeit. Besonders wichtig sei der Grundsatz: „Was in der Gruppe besprochen wird, bleibt in der Gruppe.“ Denn oft sind es traumatische Erfahrungen, die die Kinder durchleben mussten.
Derzeit leben 20 Kinder im Alter von zwei bis zwölf Jahren im Dorf. Höchstens zwei Jahre lang dürfen sie bleiben. „Die Kinder kommen per Gerichtsbeschluss hierher“, erklärt Hill, während sie eines der Schlafzimmer betritt. Ein Hochbett und zwei weitere Betten bieten Platz für vier Mädchen. Rosa Decken und Plüschtiere. Jungs und Mädchen wohnen in getrennten Häusern. Das sei wichtig, betont Hill. „Die Kinder neigen dazu, die Misshandlungen, die sie selbst erfahren haben, weiterzugeben.“
Das Ziel sei eine Wiedervereinigung mit den Familien. In einigen Fällen ist das bereits gelungen. Seit September 2022 konnten sieben Kinder zurückgebracht werden – teils in die ursprünglichen Familien, teils zu Pflegeeltern. Die leeren Plätze im Heim wurden schnell wieder gefüllt.
Viele Kinder leben mit ihren Familien in Townships
Sexuelle Gewalt und Missbrauch durch die Familien ist in Südafrika weit verbreitet. Im vergangenen Sommer sagte der Polizeiminister Südafrikas, Bheki Cele: „Südafrika ist brutal und gefährlich für Frauen und Kinder.“ Die aktuelle Kriminalstatistik zeigt: Es ist keine Verbesserung in Sicht – im Gegenteil. In nur drei Monaten, von Oktober bis Dezember 2022, sind über 14 000 Sexualstraftaten registriert worden, eine Steigerung von fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon rund 6000 Vergewaltigungen. Der Täter stammt oft aus der Familie. Für viele misshandelte oder verwaiste Kinder sind soziale Projekte die einzige Chance.
Viele der Kinder kommen aus verwahrlosten Gegenden, leben mit ihren Familien in Townships. Als Townships werden in Südafrika heruntergekommene Wohnsiedlungen bezeichnet, die sich außerhalb der Stadtzentren befinden. Hier leben Tausende am Existenzminimum. Die Townships bestehen seit der Apartheid, der Rassentrennung. Die Siedlungen setzen sich zusammen aus einzelnen, kleinen, mit Wellblechdächern versehenen Hütten.
Die einzige Hoffnung auf eine bessere Zukunft
Die Schützlinge, die im Kinderheim des Hope and Light wohnen, besuchen den Kindergarten oder die Schule der Organisation. Den Kindern Bildung zu vermitteln sei entscheidend für deren Zukunft. Dass das keine einfache Aufgabe ist, weiß Claudia Kolarski, Sprecherin des Amnesty International für Südafrika. „Der Zugang zu Bildung in Südafrika ist allgemein sehr ungleich verteilt“, sagt die Expertin.
Insbesondere in Armut lebende Kinder würden Unterricht in teils unterfinanzierten Schulen und überfüllten Klassenräumen erhalten. „Die Grundschulausbildung an öffentlichen Schulen ist in armen Gebieten kostenlos. Für die High School zahlen die Familien allerdings auch an öffentlichen Schulen Gebühren“, erklärt Kolarski.
Die Beiträge sind nicht für alle Elternteile zu stemmen. Fast jeder Dritte in Südafrika ist arbeitslos, im Sir Lowry’s Pass Village liegt die Arbeitslosigkeit sogar bei zwei Drittel. Die Folge: Besonders kinderreiche Familien können sich die Schulgebühren kaum leisten. Doch Hill sieht Hoffnung im Patenschaftsprogramm von Hope and Light. „Am Anfang des Jahres konnten viele der Kinder nur Strichmännchen malen, mittlerweile schon ganze Figuren“, sagt sie. Auch ein Wissenschaftslabor sowie eine Bücherei seien geplant. „Lesen ist der Schlüssel zu Bildung.“ Für viele Kinder sei es zudem die einzige Möglichkeit auf eine bessere Zukunft.