Geschlossen – schon wieder wird so ein Schild an einer Kinderarztpraxis prangen. Für Familien ist das ein großes Dilemma. Foto: dpa

Der Ärzte-Mangel in den Kreisen Rottweil und Schwarzwald-Baar verschärft sich weiter drastisch: Mit der Schließung einer großen Kinderarztpraxis stehen rund 6000 Patienten erst einmal ohne Kinderarzt da.

Der Schwenninger Kinderarzt Stefan Röser hat vor kurzem schweren Herzens den für ihn unausweichlichen Schritt verkündet: Er will seine Kassenzulassung im Herbst nun endgültig zurückgeben, nachdem sich trotz intensiver Suche und viel Öffentlichkeit um seine Personalie kein Nachfolger gefunden hatte und damit auch keine Entlastung in Sicht war.

 

Weitermachen wie bisher, das ist für den ebenso engagierten wie beliebten Mediziner keine Option. „Noch so einen Winter stehe ich nicht durch“, erklärte er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Nachdem er schon im Frühjahr mit dieser Ankündigung für Furore gesorgt und die Kassenärztliche Vereinigung informiert hatte, ruderte Röser zurück und gewährte Aufschub bis im Herbst.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Jetzt aber steht seine Entscheidung fest.

Zieht sich als Kassenarzt zurück: Stefan Röser aus Schwenningen. Foto: Cornelia Spitz

Und damit bangen viele Familien, die zu den tausenden Patienten in Rösers Patientenkartei gehören. Zwischen 7000 und 8000 Patienten sind das. Werden Sie einen neuen Kinderarzt finden? Schon vor dem Wegfall von Rösers als Anlaufstelle für alle Kassenpatienten waren die VS-Gruppen in sozialen Foren voll von Eltern, die händeringend um Tipps baten, wie sich ein Kinderarzt im Schwarzwald-Baar-Kreis finden lässt. Fehlanzeige – effiziente Ratschläge hat hier keiner mehr parat, in den Kinderarztpraxen gilt in der Regel längst ein Aufnahmestopp.

Vielfach schauten Familien deshalb auf der Arztsuche über die Kreisgrenzen hinaus. Auch nach Rottweil. Doch dort werden die Aussichten jetzt ebenfalls immer düsterer: Ein weiterer Kinderarzt hört auf.

Die Lage in Rottweil

Die Patienten sind informiert, das Praxisteam bei anderen – dankbaren – Arztkollegen bereits eingeplant. Fachkräfte sind dieser Tage schließlich schwer zu finden. Das haben sie mit den Kinderärzten, Frauenärzten und Ärzten in anderen Fachrichtungen gemein.

„Ich habe eineinhalb Jahre gesucht und keinen Nachfolger gefunden. Niemand will Verantwortung übernehmen“, erzählt Kinderärztin Margot Klotz und schildert damit dieselbe Odyssee, wie der Schwenninger Kinderarzt Stefan Röser sie erlebt hat. Klotz wird die Praxis in Zimmern nun zum 1. Oktober schließen. 5000 Patienten sollen in Rottweil von der Schließung der Kinderarztpraxis betroffen sein. Zusammen mit den rund 7500 Patienten aus der Kartei der Praxis Röser werden dann mit einem Schlag für 12.500 Patienten neue Ärzte gesucht werden in einem Radius von nicht einmal 20 Kilometern.

Eine Kinderarztpraxis schließt – 6000 kleine Patienten stehen ab 1. Oktober ohne Arzt da. Foto: ZB/Sebastian Kahnert/dpa; Engel73 – stock.adobe.com

Für die Patienten ist die Schließung der Kinderarztpraxis eine Katastrophe. „Ich habe ein weites Einzugsgebiet“, erklärt Klotz. Das liege daran, dass es auch in anderen Landkreisen nicht einfach ist, bei Kinderärzten unterzukommen.

Viele nehmen nur noch Geschwisterkinder auf. Wer da als Neumama oder -papa anfragt, erhält oftmals eine Absage und muss dann weite Wege in Kauf nehmen. Aber auch das ist besser, als gar keine Kinderärztliche Grundversorgung – etwa für die U-Untersuchungen – zu haben.

Hoffnungslos überlaufene Praxen

Das Problem ist hausgemacht. „Die Politik hat die vergangenen 20 Jahre alles dafür gemacht, dass die ärztliche Niederlassung nicht mehr attraktiv ist“, sagt Klotz. Sie, die seit 30 Jahren in Zimmern praktiziert, hat viele dieser Entwicklungen mitgemacht. Am derzeitigen Gesundheitsminister lässt sie kein gutes Haar.

Mit dem Wissen, dass es für ihre Praxis und damit auch für den kassenärztlichen Sitz keine Nachfolge geben wird, rang sich Klotz nur schweren Herzens dazu durch, mit nun 64 Jahren als Kinderärztin aufzuhören. „Aber ich will auch nicht, dass ich so ende wie andere Kollegen“, sagt Klotz – und meint damit, dass man aus Fürsorge so lange weitermacht, bis man selbst vom Ruhestand nicht mehr viel hat.

Klotz Kollege – Reinhardt Wartha, der einzige Kinderarzt in Oberndorf – verstarb im Herbst 2023 unerwartet. Auch für seine Praxis fand sich bislang keine Nachfolge. Ein paar Kilometer weiter – in Sulz – gibt es seit 2016 keinen Kinderarzt mehr. Für die verbliebenen Kinderarztpraxen des Landkreises – vier sind es noch in Rottweil und eine in Schramberg – wird der Patientendruck damit noch größer. „Die Praxen sind hoffnungslos überlaufen“, sagt Klotz. Sie plädiere schon lange für ein pädiatrisches MVZ, also ein Versorgungszentrum für Kinder- und Jugendmedizin im Kreis – ähnlich wie es eines in Spaichingen gibt.

MVZ immer öfter Thema

Ein MVZ – darüber wird unter den Kinderärzten im Kreis schon lange gesprochen. Auch im Schwarzwald-Baar-Kreis ist das Thema, das Oberzentrum Villingen-Schwenningen beispielsweise führt in diese Richtung bereits Gespräche und Überlegungen – „Ziel ist, dass wir ein MVZ in Villingen oder Schwenningen entstehen lassen“, proklamierte etwa Villingen-Schwenningens OB Jürgen Roth im Februar.

In Rottweil war das MVZ zuletzt im September 2023 bei einem Krisentreffen mit Kinderärzten aus dem Kreis, dem Gesundheitsamt, der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und dem CDU-Landtagsabgeordneten Stefan Teufel ein heißes Thema. Passiert ist seither nichts.

Mit dabei war damals auch der Rottweiler Kinderarzt Michael Eberhardt. Er sagt: „Die Forderungen an die Entscheider sind schon lange klar formuliert und bekannt.“ Auch in seiner Praxis habe sich die Situation deutlich verschlechtert. Die zweite Kinderärztin in seiner Praxis stehe längerfristig nicht zur Verfügung.

Die Suche nach Unterstützung gestalte sich schwierig. Ab September arbeite ein langjähriger Kinderarzt aus Tuttlingen zwei halbe Tage in der Praxis mit. Ein Tropfen auf den heißen Stein, denn „dies deckt nicht den Umfang ab, der bisher von Frau Schröck geleistet wurde“. Auch er nehme nur noch Geschwisterkinder von Patienten auf. Für mehr reiche es einfach nicht.

Düstere Prognose

„Ich muss erst einmal die Patienten, die bisher in der Praxis behandelt werden, versorgen.“ Ob es eine Chance für Patienten aus der Praxis von Margot Klotz gibt? „Das kann ich aktuell noch nicht absehen, denke aber eher nicht.“

Wir fragen beim Landratsamt Rottweil nach. Dieses antwortet umfangreich. Ja, es gebe im ländlichen Raum im Bezug auf die hausärztliche und kinderärztliche Versorgung seit Jahren ein Nachwuchsproblem. Und ja, es werde versucht mit zielgerichteten Projekten diesem Ärztemangel entgegenzutreten. Dies täte der Landkreis ebenso wie das Land und die KV. Die Projekte kennt man – „The Ländarzt“, das Zuschussprogramm der KV für Praxen, die einen Arzt in Weiterbildung einstellen – wenn einer da ist – , oder das Mitwirken des Landkreises in der „Modellregion für ärztliche Ausbildung“. Aber was konkrete Maßnahmen – wie die Gründung eines MVZ angeht – da gibt der Landkreis den Kelch gerne weiter.

Es lasse sich nicht prognostizieren, ob mit der Gründung eines MVZ die angespannte Situation gelöst werden könne. Zudem seien klassische Betreiber eines MVZ entweder die Ärzte selbst oder Krankenhäuser. Dennoch habe man mit Dornhan ein gutes Beispiel für den Anstoß eines Versorgungszentrums durch eine Kommune und mit dem MedZentrum in Schramberg auch ein Erfolgsmodell, das auf Initiative des Landkreises entstanden sei. Nun, Kinderärzte gibt es in beiden Fällen nicht.

Blick nach Spaichingen

Margot Klotz jedenfalls ist sich sicher, dass ein Versorgungszentrum für Kinder- und Jugendmedizin die Wende bringen könnte. „Die Gründung eines MVZ sollte schleunigst passieren“, sagt sie. Kinderärzte arbeiteten heute lieber im Angestelltenverhältnis in einem Team, wo es auch einfacher ist, sich gegenseitig zu vertreten, wo der Büro- und Verwaltungsaufwand geringer ist. Und, wo es auch möglich ist, in Teilzeit Kinderarzt oder -ärztin zu sein.