Die Abstimmung über die umstrittene Richtlinie wurde bereits mehrere Male verschoben. Nun wird die Zeit knapp, um die Vorschriften noch vor den Europawahlen Anfang Juni zu verabschieden.
Das Lieferkettengesetz sei noch nicht tot. Davon sind Vertreter der belgischen Ratspräsidentschaft überzeugt. Es liege aber auf der Intensivstation, müssen die Diplomaten einräumen. Sie suchen in diesen Tagen nach einem Weg, der umstrittenen Regelung neues Leben einzuhauchen, damit sie noch vor den Europawahlen im Juni verabschiedet werden kann.
Bereits in den vergangenen Wochen hatte die Ratspräsidentschaft ebenso fieberhaft wie vergeblich versucht, eine Einigung unter den EU-Mitgliedstaaten über das umstrittene Lieferkettengesetz zu erzielen. Nachdem die entscheidende Abstimmung bereits mehrere Mal verschoben worden war, zeichnete sich auch am vergangenen Mittwoch bei einem Treffen von Vertretern der 27 Regierungen ab, dass die nötige qualifizierte Mehrheit abermals nicht erreicht werden würde. Die geplante Richtlinie soll Unternehmen für Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung in ihren Lieferketten in die Pflicht nehmen. Der Entwurf geht in einigen Punkten über ein Lieferkettengesetz hinaus, das in Deutschland bereits seit dem vergangenen Jahr gilt.
Die Zeit wird langsam knapp für ein Gesetz
Die Moderatoren aus Belgien wollen aber nicht aufgeben. „Wir werden die Lage prüfen und versuchen die von den Staaten vorgebrachten Bedenken in Absprache mit dem Europaparlament auszuräumen“, hieß es aus den Reihen der Ratspräsidentschaft. Dabei greifen die Diplomaten auf einen sehr EU-speziellen Kunstgriff zurück. Sie wollen den in der Union üblichen Korrigendum-Zeitraum nutzen, um doch noch eine Übereinkunft zu erzielen. In dieser Phase werden nach einer politischen Einigung der Trilog-Parteien die Gesetze in die verschiedenen Landessprachen übersetzt. Das ist möglich, denn die grundsätzliche politische Einigung in Sachen Lieferkettengesetz war bereits im vergangenen Dezember erzielt worden – bevor sich Deutschland auf Druck der FDP doch noch überraschend zur Blockade entschied. Die Liberalen hatten das unter anderem damit begründet, dass das Gesetz zu bürokratisch sei und weit über das deutsche Gesetz hinausgehe, das die Schwelle bei 1000 Mitarbeitern zieht.
Scharfe Kritik kommt aus dem Europaparlament
Allerdings drängt nun die Zeit im Gesetzgebungsprozess und die letzte und entscheidende Abstimmung müsste spätesten Mitte März stattfinden. „Die belgische Ratspräsidentschaft wird nun weitere Gespräche führen und ich hoffe, dass sie das Chaos im Rat lichten wird“, fordert die grüne Europaparlamentariern Anna Cavazzini, die das Scheitern der Abstimmung für eine Blamage hält.
Möglichen Verhandlungsspielraum gibt es offenbar vor allem im Fall von zwei Ländern: Frankreich und Italien. Lange sah es danach aus, dass Paris den Widerstand gegen das Gesetz aufgeben würde, weil große Teile des Finanzsektors von einigen der wichtigsten Sorgfaltspflichten ausgenommen worden waren. Dann aber stand offenbar plötzlich die neue Forderung im Raum, das Gesetz auch in einem anderen Bereich an die französischen Vorschriften anzupassen. Die Schwelle für die Zahl der Beschäftigten in Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, sollte von 500 auf 5000 erhöht werden. Das hätte bedeutet, dass nicht mehr 15 000, sondern 1400 Firmen betroffen wären. Deutlich Kritik an Frankreich kommt von Oxfam, die sich für die Bekämpfung der Armut einsetzt. „Frankreich hat sich nicht damit zufriedengegeben, 99 Prozent der Unternehmen vom Haken zu lassen, sondern hat in letzter Minute wie mit einer Abrissbirne darum gebeten, weitere 14 000 Unternehmen auszunehmen. Dies ist ein Angriff auf die Menschenrechte und den Planeten“, kritisierte Marc-Olivier Herman von Oxfam.
Verhandlungen mit Paris und Rom
Einer der Wackelkandidaten ist auch Italien. Der Regierung in Rom war offensichtlich ein Deal angeboten worden. Im Gegenzug zum Ja bei der Lieferkettenrichtlinie sollte Italien Zugeständnisse bei der EU-Verpackungsverordnung bekommen. Das sei Rom aber nicht genug gewesen. Über dieses Vorgehen empörte sich Lara Wolters, die für das Dossier zuständige niederländische sozialdemokratische Europaabgeordnete. Im Fall von Italien sei „hinter den Kulissen Druck auf (Ministerpräsidentin) Giorgia Meloni ausgeübt und Lobbyarbeit betrieben“ worden, sagte sie reichlich entnervt auf einer Pressekonferenz.
Den für Deutschland zuständige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lassen solche Vorwürfe allerdings kalt. „Die EU-Lieferkettenrichtlinie wird in dieser Form nicht kommen“, ist seine Überzeugung. Jetzt müsse man den gescheiterten Entwurf beiseitelegen, „um nach der Europawahl mit einer frisch ernannten Kommission Gespräche über einen bürokratiearmen, schlanken und wirksamen Entwurf auf den Weg zu bringen“. Das ist eine kaum verklausulierte Absage an die belgischen Diplomaten auf ihrer Suche nach einer Lösung im Streit um das Lieferkettengesetz.