In Brüssel findet ein „Atomgipfel“ statt, auf dem über die Zukunft der Kernenergie diskutiert wird. Im Zentrum des Interesses stehen inzwischen modulare Reaktoren.
Die Atomenergie steht in Europa vor einer Renaissance. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache und die Unterstützer machen mächtig Druck. Unter der Führung von Frankreich hat sich sogar ein Atomkraft-Bündnis gebildet, dem inzwischen 14 EU-Staaten angehören. Zu den Befürwortern gehört auch Belgien, das am Donnerstag zusammen mit der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zu einem „Atomgipfel“ nach Brüssel einlädt. Der findet unmittelbar vor dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs statt – die Symbolik könnte in diesem Fall größer kaum sein.
Das neue Selbstbewusstsein der Atombefürworter zeigt sich längst auch politisch im Rat, der Vertretung der EU-Mitgliedsstaaten. Länder wie Deutschland, Österreich und Dänemark lehnen Atomkraft ab und waren in den Jahren nach der Katastrophe in Fukushima zumindest argumentativ im Vorteil. Der Schock saß aber offensichtlich doch nicht so tief, denn zuletzt wurden die AKW-Gegner mehrmals überstimmt, wenn es etwa um Förderungen für die Kraftwerke oder neue nukleare Technologien ging.
Eine ganze Reihe neuer AKWs sind geplant
Die Arbeit des neuen Atombündnisses besteht im Moment allerdings vor allem aus Absichtserklärungen. Frankreich will in den kommenden Jahren sechs Anlagen bauen, in Schweden sind zwei neue Reaktoren eingeplant. In Bulgarien, Finnland, den Niederlanden, Rumänien, der Slowakei und Tschechien sind weitere Reaktoren konzipiert oder im Bau. Polen produziert bislang keine Atomenergie, will aber ebenfalls eigene Kraftwerke.
Zuletzt ging in Finnland ein Reaktor ans Netz. Allerdings verdeutlicht seine Entstehungsgeschichte auch die großen Probleme, mit denen die Branche zu kämpfen hat. Die Anlage in Olkiluoto im Südwesten des Landes ging nach vielen Pannen im April 2023 mit zwölf Jahren Verspätung in Betrieb. Schon im November musste der Reaktor wegen verschiedener Probleme zweimal heruntergefahren werden. Der Bau eines weiteren Meilers wurde wegen der Verzögerungen in Olkiluoto abgebrochen.
Große Probleme beim Bau neuer Großkraftwerke
Als Negativbeispiel dient den Gegnern gerne auch das Kraftwerk Flamanville in der französischen Normandie. Das soll in diesem Jahr mit zwölf Jahren Verspätung ans Netz angeschlossen werden. Die Baukosten belaufen sich nach Angaben des Betreibers EDF inzwischen auf 13,2 Milliarden Euro, das ist vier Mal so viel wie ursprünglich geplant. Das französische Unternehmen ist auch am britischen Kraftwerk Hinkley Point C beteiligt, dessen Kosten geradezu explodieren. Während sich die geschätzten Investitionen bei Baubeginn 2016 auf rund 21 Milliarden Euro beliefen, muss mittlerweile von weit über 30 Milliarden ausgegangen werden gemäß dem damaligen Pfundwert. Nach heutigem Geldwert wären es eher um die 50 Milliarden Euro. Und statt 2025 wird der erste von zwei Reaktoren nun frühestens 2031 ans Netz gehen.
Auch wegen dieser Schwierigkeiten mit großen Reaktoren, rückt eine neue Technik in den Vordergrund. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schwärmt geradezu von kleinen, sogenannten modularen Atomanlagen (Small Modular Reactor, SMR). Die Idee ist, dass die Reaktoren für derartige Kraftwerke modular in einer Fabrik vorgefertigt und dann verbaut werden. Auch hierzu hat sich bereits eine Gruppe von Unterstützern gebildet. EU-Energiekommissarin Kadri Simson kündigte im Februar an, dass sich ein Industriebündnis aus bislang zehn EU-Ländern formieren werde, die solche Technologien weiterentwickeln wollen.
Firmen aus USA und China versuchen den Europäern den Rang abzulaufen
„Wir arbeiten seit Jahrzehnten an solchen SMR“, betont Ulla Engelmann, Direktorin der EU-Forschungsstelle Nukleare Überwachung und Sicherheit (JRC) mit Sitz in Karlsruhe. Einige Konzepte seien sehr vielversprechend und im Moment werde daran gearbeitet herauszufinden, welche für die einzelnen europäischen Staaten die besten sind. Ulla Engelmann unterstreicht, weshalb die Forschung an einer solchen möglichen Zukunftstechnik für Europa einen besonderen Stellenwert haben sollte. „Es ist wichtig, bei der Entwicklung solcher Reaktoren vorne zu sein, denn nur dann ist es auch möglich, entsprechende Standards zum Beispiel bei der Sicherheit zu setzen.“ Im Moment sieht sie aber, dass viele US-Firmen und auch China den Europäern auf diesem Feld den Rang abgelaufen haben.
Die Experten des JRC beobachten nach eigenen Angaben im Moment einen „Hype“ in Sachen der modularen Reaktoren. Man wolle das nicht ohne Not abwürgen, aber man wolle dabei helfen, „realistische Erwartungen an die Technik zu formulieren“, erklärt ein SMR-Fachmann. Die Module könnten dazu beitragen, die Herstellung von Energie zu dekarbonisieren, sie seien aber nicht die alleinige Lösung. Große Staaten würden bei ihrer Energieversorgung sehr wahrscheinlich auch in Zukunft auf große Kernkraftwerke setzen.
Vor allem Frankreich setzt auf Unterstützung durch die EU
Zudem gebe es nicht den einen Typ des modularen Reaktors, der für alle Einsatzbereiche ideal sei, was alles noch komplizierter mache. Es müsse immer mitgedacht werden, wo und für welchen Zweck die Technik eingesetzt werde. Etwa ob die Energie zum Heizen benutzt werde, zur Produktion von Elektrizität oder zur Herstellung von Wasserstoff. Dennoch sind die Forschenden beim JRC überzeugt, dass die SMR eher früher als später auch in Europa zum Einsatz kommen werden. Es sei lediglich eine Frage der Finanzierung, erklärt ein Experte.
Hier schielt vor allem Frankreich, das die Technik der SMR-Reaktoren propagiert, in Richtung EU. Denn im europäischen Recht zählt Atomkraft inzwischen zu den Technologien, mit denen die Union ihre Klimaziele für 2050 erreichen will. Ein neues Gesetz soll zudem EU-Mittel für die Förderung nachhaltiger Technologien freimachen - auch hier steht Atomkraft auf der Liste. Eine bereits ausverhandelte Reform des europäischen Strommarkts erlaubt den Mitgliedstaaten zudem, alte Atomkraftwerke weiter zu fördern. Allein diese finanziellen Regelungen dürften der Renaissance der Kernkraft zusätzlichen Rückenwind verleihen.