Seit 2017 ist sie Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments: Evelyn Gebhardt bei einer Parlamentssitzung. Foto: EU Foto: Schwarzwälder Bote

Politik: EU-Vizepräsidentin Evelyn Gebhardt (SPD) kämpft für ein besseres Miteinander in Europa

Sie ist eine Europäerin durch und durch. Seit 2017 ist die Deutsch-Französin Evelyn Gebhardt Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt sie, warum "Demokratie keine Einbahnstraße ist".

Kehl. Vor einer Woche hat Evelyn Gebhardt die Eröffnung eines möglichen Strafverfahrens wegen Vertragsverletzungen gegen Ungarn im Europäischen Parlament (EP) mitbeschlossen. "Eine wichtige Sache", sagt sie wenige Tage später im Gespräch mit unserer Zeitung in Kehl.

Gebhardt nippt in einem gut besuchten Café in der Kehler Innenstadt an ihrem Kaffee. Es regnet. In einer halben Stunde soll sie in der gegenüberliegenden Friedenskirche zu Frieden und der Verfasstheit der Europäischen Union sprechen. "Die Veranstalter kenne ich persönlich nicht, ich weiß nicht, was mich da erwartet, wie viele Menschen kommen."

Gebhardt ist eine gefragte Rednerin. Daher scheint sie nichts so schnell aus der Ruhe zu bringen. Liegt das womöglich auch an ihrem französischen Gemüt? Oder an ihrer jahrzehntelangen Erfahrung in der Politik?

Wink mit dem Zaunpfahl an die eigene Partei?

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, eine von 14, die Präsident Antonio Tajani vertreten, kennt Unwägbarkeiten und Engpässe zu genüge. Schließlich arbeitet sie in einem der Machtzentren der EU – dort, wo die europäische Demokratie in oft zähen Sitzungsmarathons politisch erstritten und verhandelt wird. Gebhardt muss nicht nur qua Amtes eine überzeugende Europäerin sein. Sie lebt Werte wie Demokratie, Solidarität, Offenheit, grenzüberschreitendes Arbeiten, Mehrsprachigkeit und Vielfalt. Ihr eigener Werdegang stellt dies unter Beweis.

Die gebürtige Französin ist seit knapp 25 Jahren Mitglied der SPD – für die Sozialdemokraten sitzt sie auch im EP – hat ihren Wahlkreis im württembergischen Künzelsau, spricht perfekt Deutsch und wurde daher für die Europawahl 2004 vom Parteivorstand als Spitzenkandidatin für Baden-Württemberg favorisiert. Seither ist sie aus Europa nicht mehr wegzudenken, heißt es von ihrer Partei.

Wenn Evelyn Gebhardt, jemand der trotz des ranghohen Postens eher in zweiter Reihe steht, über die EU redet, schlägt einem viel Fachwissen entgegen. Aber auch immer wieder dieselben Schlagworte: Identität, Achtung der Wertvorstellungen, unabhängige Justiz, eine offene Gesellschaft und Pressefreiheit. Das übliche Gerede von EU-Politikern würden EU-Skeptiker an dieser Stelle schreiben. In der Tat sind diese Werte aber der Kitt, der die EU stark gemacht und ausgemacht hat. Gebhardt sagt, dass Demokratie im Kleinen wie im Großen immer wieder erstritten werden muss, Tag für Tag. "Demokratie ist keine Einbahnstraße", sagt sie und nimmt einen Schluck aus ihrer Tsse.

Sondern ein lebendiger Prozess mit vielen Akteuren. Zu diesen Akteuren gehörten auch Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete, betont Gebhardt. Alle zusammen schafften dann – bestenfalls – eine Gemeinschaft und verständigten sich über Werte und den Umgang miteinander. Das wird auch in ihrem späteren Vortrag in der Friedenskirche deutlich. "Die Gemeinschaft ist wichtig, ohne sie hat die EU es schwer."

Schonungslos bewertet die unweit von Paris geborene EU-Politikerin die Politik in Frankreich unter Emmanuel Macron, den sie als zu marktliberal bezeichnet. Der französischen Schwesterpartei, den "Socialistes" der Parti socialiste (PS), stellt sie ein besorgsniserregendes Zeugnis aus. "Die PS liegt am Boden. Das ist sehr schade, denn die Franzosen sind ein zentraler Bestandteil der EU-Sozialisten." Es brauche eine strukturelle Veränderung innerhalb der Partei, sagt Evelyn Gebhardt. Ein Wink mit dem Zaunpfahl für Veränderungen auch in ihrer eigenen Partei?

Gegen Hartz IV und die Rente mit 67 Jahren

Gebhardt gilt als Kritikerin der Agenda 2010 sowie Gerhard Schröders. Sie findet, die SPD müsste mehr "linke Themen" vorantreiben. "Wir müssen jetzt die Lektionen aus der Kritik an der Agenda 2010 ziehen, das nämlich haben wir bis dato versäumt." Dass ihre SPD dem liberalen Flair der Gesellschaft um die Nullerjahre nachgegeben habe, wie sie es immer so schön formuliert, findet sie falsch. Genauso grundsätzlich falsch hält sie auch die Rente mit 67 Jahren oder Hartz IV. Die Ereignisse von vor knapp vier Wochen in Chemnitz sind natürlich auch bis nach Brüssel, dort wo Gebhardt hauptsächlich anzutreffen ist, gedrungen. Die Politikerin stellt klar, dass sie bestürzt ist. Ihre Miene wird ernst. Anders als manch einer ihrer Kollegen findet sie schnell deutliche Worte. "Es macht mir große Sorge und ich finde es schlimm, dass es so weit kommen konnte."

Als Vizepräsidentin ist Gebhardt maßgeblich zuständig für Informatik und Telekommunikation. Sie ist Vorsitzende der Arbeitsgruppe "Informations- und Kommunikationstechnologien – Innovationsstrategie". Auch verleiht sie den LUX-Filmpreis, ein Filmpreis des Europaparlaments, der seit 2007 vergeben wird. Dieser prämiert Filme, die Integration und Sprachvielfalt thematisieren.