Baut auf die Laien: Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Foto: dpa

Wir brauchen Mitmach- statt Versorgungs-kirche, sagt Katholikentag-Gastgeber Alois Glück.

Die Katholiken müssen aus ihrer Versorgungskirche eine Mitmachkirche machen, sagt Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Bis zum Sonntag treffen sich in Mannheim mehrere Zehntausend Gläubige zum 98. Katholikentag.

Herr Glück, der Katholikentag steht unter dem Motto „Einen neuen Aufbruch wagen“. Wo wollen Sie denn hin?
Wir erleben sowohl in der Kirche wie in der Gesellschaft krisenhafte Entwicklungen, die zum Umdenken zwingen. Die Kirche erreicht in der Verkündigung immer weniger Menschen. Auch in der Gesellschaft kann es ein Weiterso nicht geben. Unsere gegenwärtige Lebensweise ist nicht zukunftsfähig. Deshalb brauchen wir den Mut, Neues zu beginnen, einen neuen Aufbruch zu wagen. In der Geschichte gab es immer wieder Aufbrüche aus solchen Spannungen heraus.

Beispielsweise vor 50 Jahren, als das Zweite Vatikanische Konzil begann und die sogenannten Laien – also die Nichtkleriker – stärkte. Warum ist die Kirche stehen geblieben?
Es ist damals viel in Bewegung gekommen, die Kirche wird heute wesentlich von den Laien mitgetragen. Leider gibt es neue Diskussionen, die hinter die Ergebnisse des Konzils zurückwollen und den Umgang mit der modernen Lebenswelt in Frage stellen. Auch ein gewisser Trend zur Zentralisierung in der Weltkirche ist zu erkennen. Doch es ist wichtig, dass wir uns auf den Weg machen. Ein entscheidender Anstoß dafür waren und sind die Erschütterungen durch den sexuellen Missbrauch in der Kirche. Diese Schockerfahrung hat zu einem großen Vertrauensverlust geführt.

Um das Vertrauen wiederzugewinnen, haben die deutschen Bischöfe 2011 einen so genannten Dialogprozess eröffnet. Was erwarten Sie von ihnen – auch gegenüber Rom?
Zunächst einmal gibt es viele Aufgaben, die die Kirchengemeinden selbst übernehmen können, etwa die Gestaltung der Seelsorge. Wir stellen beim Katholikentag das Leitbild einer dem Menschen dienenden Kirche in den Mittelpunkt, so wie im vergangenen Jahr beim ersten Dialog mit den Bischöfen nach einer barmherzigen Pastoral gerufen wurde. Das Bittere ist, dass die jetzige Pastoral offenbar nicht als barmherzig empfunden wird. Um zu den Menschen zu gehen und sie zu begleiten, braucht es keine Zustimmung aus Rom.

Wegen des Priestermangels wurden Kirchengemeinden zu Seelsorgeeinheiten zusammengelegt. Viele Gläubige fordern, die Pflicht zur Ehelosigkeit für Priester aufzuheben und Frauen zu Diakoninnen zu weihen.
Zölibat und Diakonat der Frau können letztlich nur auf der Ebene der Weltkirche entschieden werden. Die Frage, wie Frauen mehr Verantwortung auch in den seelsorgerlichen Bereich hinein übernehmen können und dürfen, ist aber wichtig. Es geht überdies darum, die Aufgaben zwischen Priestern und Laien neu zu verteilen. Es gibt auch Gemeinden, die statt Seelsorgeeinheiten Verbundstrukturen geschaffen haben. Dort werden nach einer Vorbereitung Laien förmlich entsandt und für verschiedene Dienste unserer Kirche beauftragt. Das setzt aber ein neues Kirchenverständnis voraus.

"Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Klerikern und Laien entwickeln"

Was müsste sich im Denken ändern?
Nicht mehr der Pfarrer versorgt und betreut die Pfarrei. Die Kirche ist vielmehr eine Mitmachkirche, die gemeinsam von allen getragen wird. Die meisten Gläubigen sind heute noch anders geprägt. Sie erwarten, dass der Pfarrer für alles da ist – das überfordert die wenigen Priester. Deshalb ist es dringlich, nicht nur die Seelsorgestrukturen zu ändern, sondern neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Klerikern und Laien zu entwickeln mit einem partnerschaftlichen Verhältnis.

Vor einigen Jahren verhängte Rom ein Predigtverbot für Laien...
Auf lange Sicht wird die Kirche in vielen Lebensbereichen entweder durch Laien präsent sein oder gar nicht mehr präsent sein, weil es keine Priester gibt. Auftrag der Kirche ist, das Evangelium, die Botschaft Jesu zu verkünden. Alles andere ist nachrangig.

Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt seit Jahren, wegen des Missbrauchskandal hat es 2010 noch mehr Austritte gegeben als in früheren Jahren. Wie verankert ist die Kirche noch in der Gesellschaft?
Immer weniger Menschen nehmen für ihre persönliche Lebensführung zum Maßstab, was das Lehramt der Kirche verkündet. Gleichzeitig erwarten aber immer mehr Menschen von den Kirchen einen Beitrag für die Werteorientierung in Gesellschaft und Staat. In Zukunft wird die Zahl der Gläubigen auch durch den Geburtenrückgang weiter sinken. Wir müssen lernen, dass die Kirchen nicht mehr ihre gesellschaftliche Sonderstellung haben werden. Sie werden aber auch nicht ins Abseits gedrängt. Ob wir gehört werden, wird von der Qualität unserer Argumente abhängen.

Beim Katholikentag stehen viele politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen auf dem Programm. Was ist Ihnen wichtig?
Wir müssen ein neues Leitbild für Fortschritt und Wohlstand entwickeln. Höher, schneller weiter führt nicht weiter. Wir brauchen eine Politik, die zentral auf den Menschen ausgerichtet ist und sich an Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität orientiert – nicht nur für uns heute, sondern auch für künftige Generationen und für die Menschen in anderen Regionen der Welt. Es geht nicht um einen Rückzug von der modernen Welt. Vielmehr muss der wissenschaftliche und technische Fortschritt die Lebensgrundlagen aller sichern. Wichtige Themen sind auch das Zusammenleben und die Verständigung der Religionen und Kulturen und die Ökumene.

Im Jahr 2017 feiert die Evangelische Kirche in Deutschland 500 Jahre Reformation. Rom erwartet eine Entschuldigung. Ist das angemessen?
In den letzten 30 Jahren ist zwischen Katholiken und Protestanten in Deutschland viel an Miteinander und Verständigung gewachsen, aber es gibt weiter wichtige Themen. Für die Glaubwürdigkeit der christlichen Kirchen ist wichtig, wie das Jubiläum gestaltet wird. Ob es auf eine eigensüchtige Profilierung hinausläuft oder ob – bei aller Unterschiedlichkeit und allen Verständigungsschwierigkeiten in theologischen Fragen – doch deutlich wird, dass uns viel mehr verbindet als trennt. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Evangelische Kirchentag werden mit einer gemeinsamen Veranstaltung ein Zeichen setzen.

Wird das der dritte ökumenische Kirchentag nach Berlin 2003 und München 2010?
Nein, aber der dritte ökumenische Kirchentag wird sicher kommen.