Die Mitarbeiter des Zoos gehen den „Karlsruher Weg“. Foto: dpa/Uli Deck

Der Zoo nennt es „den Karlsruher Weg“: Als die ersten Tiere an der Vogelgrippe verenden, ergreift der Tierpark strenge Sicherheitsmaßnahmen. Dafür erhält er eine Sondergenehmigung und muss keine Vögel töten. Ein riskantes Unterfangen – das als Vorbild dienen soll.

Im Hintergrund ziehen Enten stoisch ihre Runden im Bassin. Andere verteidigen schnatternd den Beckenrand. Im Vordergrund ist Marco Roller mit Abstrichtupfern unterwegs, wie man sie von Corona-Tests kennt. Der Zootierarzt ist ebenfalls Viren auf der Spur: der hochpathogenen aviären Influenza, auch als Vogelgrippe oder Geflügelpest bekannt. Mit den Stäbchen nimmt er Kotproben.

Anfang Februar wurde die hochansteckende Form der Vogelgrippe im Karlsruher Zoo nachgewiesen. Zwei Hawaiigänse und ein Pelikan waren die ersten Opfer. Der Zoo musste schließen. Bei rund 90 Tieren wurde das Virus in den folgenden Tagen nachgewiesen. „Ein bisher nie dagewesenes Ausmaß in einem deutschen Zoo“, wie Direktor Matthias Reinschmidt einordnet. Etwa ein Drittel der infizierten Tiere erkrankte und starb. Die anderen konnten mit der Zeit genesen.

Das ist etwas Besonderes. Denn um das Ausbreiten einer Tierseuche zu verhindern, können die Behörden gemäß EU-Verordnung veranlassen, dass Federvieh bei einem Verdacht auf Geflügelpest präventiv getötet wird. Und das wurde in der Regel bisher auch so gehandhabt.

Insbesondere Wasservögel sind anfällig

Doch die Verordnung lässt nach Angaben des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums Ausnahmen zu, etwa wenn die Vögel in getrennten sogenannten epidemiologischen Einheiten untergebracht werden können, zu wissenschaftlichen Zwecken oder zur Erhaltung geschützter oder gefährdeter Arten gehalten werden.

So ist es im Karlsruher Zoo: Dessen rund 700 Vögel kamen in mehr als 20 Gruppen unter, von denen nur drei letztlich von der Geflügelpest betroffen waren. Arten wie Pinguine, die laut Zootierarzt Roller nicht in geschlossenen Räumen gehalten werden können, durften draußen bleiben. Andere wie die Enten kamen in separaten Ställen unter.

Insbesondere Wasservögel sind für die Vogelgrippe anfällig, bekommen unter anderem Nervenschäden. Für Menschen gilt das Virus als weitgehend ungefährlich.

„Zwei konträre Ziele stoßen aufeinander“

Auch seltene, für den Arterhalt wertvolle Tiere wie Edwardsfasan und Hyazinth-Ara leben im Karlsruher Zoo. „Zwei total konträre Ziele stoßen hier aufeinander“, sagt Volker Homes vom Verband der Zoologischen Gärten (VdZ). Dem Zoo gehe es um Arterhaltung und Zuchtprogramme, dem Veterinäramt um das Eindämmen einer Seuche.

Tiere durchseuchen lassen, anfangs täglich neue Todeszahlen auf den Tisch zu bekommen, das war für Zoodirektor Reinschmidt nicht leicht: „In den ersten Tagen ist man natürlich total verunsichert.“ Wie viele Vögel werden verenden? „Wir waren froh, als dann das Sterben langsam aufhörte.“ VdZ-Geschäftsführer Homes formuliert es so: „Man muss den Schmerz aushalten am Anfang und den Tod von Tieren akzeptieren.“

Vermutlich sei die Vogelgrippe durch freilebende Graureiher eingeschleppt worden, sagt Reinschmidt. Ganz genau weiß man es nicht.

Enormer Aufwand für die Zoo-Mitarbeiter

Für die Zoo-Mitarbeiter bedeutet die Tierseuche enormen Aufwand: Bevor sie ein Gehege betreten, ziehen sie Ganzkörper-Schutzanzüge, zwei Paar Handschuhe, Schuhüberzieher, FFP3-Masken und in den infizierten Einheiten sogar Schutzbrillen an. Vor den Eingängen und hinter den Ausgängen liegen Fußmatten, die mit Desinfektionsmittel getränkt sind. „Wir möchten auf keinen Fall, dass das Virus aus einer positiven Einheit herausgetragen wird“, erklärt Tierarzt Roller.

Jede Woche nehmen er und sein Team hunderte Proben, die das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt analysiert. Bei den nicht infizierten Vogelgruppen reichen Kotproben. An befallenen Tieren werden am Rachen und am Körperausgang, der Kloake, Proben genommen. „Für die Tiere ist es natürlich auch eine Herausforderung“, sagt Roller. Die Enten wirken derweil eher desinteressiert und paddeln gemächlich im Wasser.

Immer wieder grassiert die Geflügelpest und es fallen ihr Vögel zum Opfer. Mal müssen Landwirte tausende Hühnern keulen, mal trifft es nur vereinzelt Wildvögel. Das ist an sich nichts Neues.

Auch andere Zoos sind davon betroffen

Doch nach Angaben des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit, des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), erlebte Europa schon von Herbst 2020 bis April 2021 die bis dato schwerste Geflügelpest-Welle. Wie auch beim Coronavirus nimmt die Ausbreitung üblicherweise im Sommer etwa wegen hoher Temperaturen ab. Jedoch „übersommerten“ die Viren nach Einschätzung der Experten im vergangenen Jahr.

Zusätzlich wurden ab September eng verwandte, aber unterscheidbare H5N1-Viren aus dem Osten eingetragen. Dutzende Tiere im Bundesgebiet sind seither verendet. Und eine FLI-Sprecherin teilt mit: „Ein Abflauen des Geschehens ist leider nach wie vor nicht in Sicht.“

Auch Zoos und Tierparks in Greifswald, Heidelberg und im Maintal waren schon betroffen. Der Karlsruher Zoodirektor Reinschmidt sagt, gerade stehe er mit einer Kollegin in Bremerhaven wegen H5N1 in Kontakt. Sie habe als Referenz auf den „Karlsruher Weg“ verwiesen.

In Baden hat der Sonderweg funktioniert

Genau das war ein Ziel der Badener: Sie wollen mit ihrer Methode und den Biosicherheitsmaßnahmen Vorbild sein. Mit wissenschaftlichen Untersuchungen wollen sie nun darüber hinaus verfolgen, wie sich der Immunstatus der infizierten Tiere mit der Zeit verändert.

Die Zoos seien im engen Austausch, sagt VdZ-Geschäftsführer Homes. Doch nicht jeder könne den Karlsruher Weg gehen. Der Zoo dort hat zwei eigene Tierärzte. Kleinere Tierparks hätten oft gar keinen, sagt Homes. „Und der Preis war, wochenlang geschlossen zu bleiben. Das kann sich vielleicht auch nicht jeder Zoo leisten.“

In Karlsruhe hat der Sonderweg nach allem, was man bisher sagen kann, funktioniert. Wenn alle Tests negativ sind, müssen die Vögel noch 42 Tage in Quarantäne bleiben, dann dürfen sie wieder ins Freie. Doch schützen vor dem nächsten Fall kann ein Zoo sich nicht, wie Direktor Reinschmidt sagt. Dafür flögen zu viele Vögel einfach nur mal vorbei. Und das sei auch gewünscht. „Wir wollen ja auch Oase für Wildtiere sein.“